Wirtschaftswachstum

Innovationsagenda für Deutschland

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 © The Pioneer

Mitgründer und Geschäftsführer des deutschen Unicorns GetYourGuide, Johannes Reck, sieht die Kernpflicht zur Stärkung der deutschen Wirtschaft bei den Unternehmen. Schwerpunkt: Innovation und Kreativität. Seine teils unkonventionellen Maßnahmen stellt der Unternehmer im Pioneer-Gastbeitrag vor.

Die deutsche Wirtschaft und unser Standort haben in den letzten Jahren deutlich an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt – vor allem in wichtigen Innovations- und Wachstumsbereichen wie beispielsweise der Softwareentwicklung und Künstlicher Intelligenz. Diese Fehlentwicklungen sind mittlerweile in der deutschen Realwirtschaft spürbar, insbesondere nach den Herausforderungen der Corona-Pandemie, dem Ende der Nullzinsphase und der Energiekrise im Zuge des Ukraine-Kriegs. Im Vergleich zu anderen Nationen, insbesondere den USA, entwickelt sich unsere Wirtschaft nur schleppend.

Die Herausforderungen, denen wir uns gegenübersehen, sind vielschichtig und es gibt kein Patentrezept. Eines ist aber sicher: Um unser Wirtschaftswachstum anzukurbeln, können und sollten wir deutlich ambitioniertere Ziele definieren. Die Stärkung der Innovationskraft in zukunftsweisende Industrien ist der wesentliche Schlüssel zum Erfolg. Es ist entscheidend, dass deutsche Unternehmen eine führende Rolle in den zentralen Innovationsfeldern einnehmen und auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig sind.

Während die Politik hierfür förderliche Rahmenbedingungen schaffen kann, liegt der Kern dieser Aufgabe in der Wirtschaft, insbesondere in den innovativen Bestrebungen der Unternehmer und Erfinder unseres Landes.

Als Unternehmer, der über die vergangene Dekade ein global erfolgreiches Internet-Unternehmen aus Deutschland heraus aufgebaut hat, möchte ich meine Erfahrung und Expertise nutzen und einen Impuls für eine Innovationsagenda setzen, die für nachhaltiges Wirtschaftswachstum in Deutschland steht.

In meinen Augen ist es dringend notwendig, diese Debatte mit einem offenen Visier zu führen. Wir müssen unsere Wirtschaft wettbewerbsfähig und zukunftsfest machen und dafür neue – teils auch unkonventionelle – Wege gehen. Dazu gehören für mich folgende fünf Kernbereiche, die wir gemeinsam angehen müssten:

1. Mobilisierung unseres Kapitals

Um Kapital für Innovation am Wirtschaftsstandort Deutschland zu mobilisieren und damit in unsere Zukunft zu investieren, ist ein Umdenken erforderlich. In Deutschland sprechen wir oft von Investitionen als eine staatliche Herausforderung. Doch das wesentliche Investitionsdefizit besteht aktuell in der Privatwirtschaft. Wir legen unser Kapital primär in konservativen Anlageformen an, statt verstärkt in zukunftsträchtige Industrien und Märkte zu investieren. Damit hier ein Wandel gelingt, sollten langfristige Investitionen in Aktien und Wagniskapitalfonds durch steuerliche Anreize deutlich attraktiver gestaltet werden. Das würde nicht nur Kapital für Innovationen freisetzen, sondern auch nachhaltig zum langfristigen Wohlstand der Gesellschaft beitragen.

Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Reform unseres umlagefinanzierten Rentensystems hin zu einer ergänzenden Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung durch einen Kapitalstock. Ein unabhängiger, renditeorientierter Fonds, der langfristig am Kapitalmarkt anlegt, kann einen signifikanten Beitrag zur Stärkung der Innovationskraft in Deutschland leisten. Derzeit sind beispielsweise einige deutsche Start-ups von Investoren finanziert, die ihr Geld teilweise von ausländischen Pensionsfonds beziehen. Es ist offensichtlich, dass die Gewinne, die durch innovative Unternehmen erzielt werden, ebenso den deutschen Rentnerinnen und Rentnern zugutekommen sollten. Dies sollte der Kern einer Reform hin zur Aktienrente sein.

Wichtig ist außerdem, dass wir in europäischen Dimensionen denken und einen gemeinsamen Kapitalmarkt schaffen, der in einer Liga mit den USA spielen kann. Ein starker europäischer Kapitalmarkt ist unerlässlich, um wettbewerbsfähige Unternehmen in Europa zu halten und zu fördern.

2. Anreize für Migration von Top-Talenten und Fachkräften schaffen

Der größte Wettbewerbsvorteil unseres Landes ist die hohe Lebensqualität und ein starker Sozialstaat. Diesen Vorteil sollten wir viel konsequenter nutzen, um die Zuwanderung von Top-Talenten und Fachkräften gezielt zu fördern.

Eine Infografik mit dem Titel: Zunehmender Fachkräftemangel

Offene Stellen, die rein rechnerisch nicht mit passenden qualifizierten Arbeitslosen besetzt werden können

Um Deutschland für Fachkräfte und Talente aus dem Ausland attraktiver zu machen, könnten steuerliche Anreize geschaffen werden. Eine Möglichkeit wäre die Einführung einer Flat Tax von 25 Prozent für die ersten fünf Jahre, um den Start in Deutschland zu erleichtern.

Um die Aufstiegschancen für zugewanderte Mitmenschen zu verbessern, braucht es zudem verstärkt Investitionen in Bildungs- und Sprachkurse. Dies stellt eine erfolgreiche Integration qualifizierter Fachkräfte in den deutschen Arbeitsmarkt dar.

3. Entbürokratisierung & Digitalisierung

Deutschland gilt unbestritten als ein Staat mit ausgeprägter Bürokratie. Ein entschlossener Schritt hin zur Entbürokratisierung könnte wesentlich dazu beitragen, Effizienz zu steigern und die für unseren Wirtschaftsstandort so dringend benötigte Innovation anzukurbeln.

Die in den letzten Jahren eingeführten Regulierungen und bürokratischen Hürden, wie beispielsweise die allgemeine Datenschutzgrundverordnung und das Lieferkettengesetz, können von großen Unternehmen vergleichsweise gut umgesetzt werden, bremsen allerdings KMUs (kleine und mittlere Unternehmen) und Start-ups enorm und binden erhebliche Ressourcen. Es ist daher unerlässlich, die Gesetzgebung generell kritisch zu überprüfen, insbesondere mit Blick auf die Realisierbarkeit für kleine und neu gegründete Unternehmen. Um für diese ein positives Innovationsumfeld zu schaffen, sollten beispielsweise Ausnahmeregelungen und Moratorien unterstützt werden.

Es ist zudem an der Zeit, dass die Gesetzgebung den digitalen Anforderungen der modernen Arbeitswelt gerecht wird und bürokratische Hürden für Unternehmer und Arbeitnehmer abbaut. Aktuell verlangt das Gesetz, dass wesentliche Vertragsbedingungen eines nicht in Schriftform niedergelegten Arbeitsvertrags auf Papier verfasst und handschriftlich unterschrieben werden – ein überholter Vorgang, der besonders für digital aufgestellte Start-ups und Scale-ups unnötigen Mehraufwand darstellt. Obwohl die Problematik von der Politik erkannt wird, ist der vorgeschlagene Einsatz einer „qualifiziert elektronischen Signatur“ aufgrund der erforderlichen Signaturkarten, Lesegeräte und der komplizierten Antragstellung – insbesondere für außerhalb der EU wohnhafte Arbeitnehmende – nicht praktikabel. Die Lösung besteht in der Anerkennung der Textform als gültiger Nachweis für Arbeitsverträge sowie in der Nutzung einfacher und digitaler Lösungen zur Vertragsunterzeichnung.

Zudem ist die Digitalisierung der deutschen Bürokratie unumgänglich, um den Übergang in eine KI-gestützte Wirtschaft zu realisieren. Meiner Einschätzung nach liegt die Herausforderung hier insbesondere im Fachwissen der staatlichen Entscheidungsträger und Ministerien. Es wäre daher beispielsweise zielführend, ein Digitalministerium zu bilden, das ebenfalls mit Experten und Fachkräften mit umfassender Digitalexpertise besetzt ist. Parallel dazu ist es wichtig, die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft zu intensivieren, um deren weitreichende Tech-Expertise in politischen Entscheidungen zu reflektieren.

4. Investitionen in Forschung, Technologietransfer und Bildung

Ich sehe eine weitere wichtige Stellschraube im Bereich Bildung und Forschung. Deutschland hat nach wie vor hervorragende Bildungsinstitute. Im Ländervergleich gibt es aber viel zu wenige Ausgründungen und mit der Ausnahme der TU München nur wenige Innovationscluster mit dem Potenzial von Stanford, MIT, Cambridge oder der ETH Zürich.

Die neue Mitte des Garchinger Forschungscampus der TUM: Die Technische Universität München hat etwa 60 KI-Professuren  © U. Benz / TUM

Daher sollten wir die Exzellenzinitiative nutzen, um noch deutlich stärker in Spitzenforschung zu investieren. Ein gutes Beispiel sind die ETH Zürich und EPFL Lausanne, die als polytechnische Universitäten vor 100 Jahren zur Unterstützung der Schweizer Wirtschaft gegründet worden sind. Der Bund sollte ebenfalls verstärkt in unsere Exzellenz-Cluster investieren, vor allem in den wichtigen Zukunftsbereichen wie Künstliche Intelligenz, Biotechnologie, Batterieforschung, Klimatechnologie oder Robotik.

Ein weitreichendes Versäumnis in der Vergangenheit bestand darin, dass wir aufgrund begrenzter Ressourcen und mangelnder Fokussierung auf den Technologietransfer oftmals unsere IP nicht kommerzialisiert haben. Deshalb sollten die Fördermittel für Exzellenz-Cluster auch an die Quantität und Qualität der Ausgründungen gekoppelt sein.

Um den zukünftigen Arbeitsmarktanforderungen gerecht zu werden, ist es entscheidend, bereits in der schulischen Ausbildung anzusetzen und somit Kindern und Jugendlichen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu eröffnen. Hierfür ist es erforderlich, dass Schulabschlüsse in Deutschland einheitlichen Qualitätsstandards entsprechen, Bildung und auch Prüfungen digitalisiert und die Fächer auf heutige Berufsbilder angepasst werden. Vor allem MINT-Fächer sowie Wirtschaftswissenschaften sollten viel stärker und früher unterrichtet werden. Außerdem braucht es Investitionen, um Digitalisierung und das Lernen am technologischen Puls der Zeit zu ermöglichen.

5. Fairer Wettbewerb und digitale Souveränität

Abschließend ist es von Relevanz, dass wir in Deutschland unsere Infrastruktur dringend weiter ausbauen. Während der Ausbau von modernen Straßen und Schienennetzen derzeit intensiv diskutiert wird, ist vor allem aber auch der weitere Ausbau der digitalen Infrastruktur von großer Wichtigkeit. Die raschen Fortschritte in Bereichen wie KI und autonomes Fahren werden in naher Zukunft deutlich höhere Anforderungen an unsere digitale Infrastruktur stellen.

Der Staat darf hier nicht denselben Fehler wie bei der Gründung des Internets wiederholen, als wir unsere Daten frei zugänglich gemacht haben und gleichzeitig unsere eigene Digitalwirtschaft unterfinanziert und vernachlässigt haben. Dies führte uns in eine kritische Abhängigkeit von US-Technologiekonzernen. Bei der Weiterentwicklung unserer digitalen Infrastruktur und der KI müssen wir daher unsere digitale Souveränität im Blick behalten und unser eigenes Ökosystem stärken.

Eine Infografik mit dem Titel: KI-Zeitalter: USA vorn

Private Kl-Investitionen in ausgewählten Ländern und der EU, in Milliarden US-Dollar

Um einen fairen Wettbewerb in der heutigen Plattform-Ökonomie zu gewährleisten und zu schützen, ist es unabdingbar, sowohl bestehende als auch neue regulative Maßnahmen wie den Digital Markets Act und die jüngsten GWB-Novellen konsequent anzuwenden und digitale Monopole proaktiv einzuhegen. Dabei ist es essenziell, die neuen wettbewerbsrechtlichen Instrumente auf Large Language Models (LLMs) wie ChatGPT und andere KI-Tools zu erweitern. Diese sollten ebenfalls als zentrale Plattformdienste definiert werden, um deren Vorteile für deutsche Unternehmer und Innovatoren zu sichern und gleichzeitig eine unverhältnismäßige Machtkonzentration bei großen Technologieunternehmen zu verhindern. Denn sie folgen den gleichen „Winner-takes-all“- und Monopolisierungs-Mechanismen wie herkömmliche Plattformmärkte – aber hier herrschen völlig neue Skaleneffekte und Geschwindigkeiten, die wir nicht unterschätzen dürfen.

Wenn wir Big Tech hier das Feld überlassen, werden wir mit völlig neuen Dimensionen von Monopol- und Datenmacht konfrontiert sein.

Ohne fairen Zugang zur Technologie und zu den Daten von Generativer KI und LLM, riskieren wir zudem, dass diese neuen kritischen Infrastrukturen von Big Tech ähnlich abgeschottet werden wie Suchmaschinen, Browser, App Stores oder Betriebssysteme in den vergangenen Jahren. Das würde sowohl unsere Bemühungen für ein eigenständiges Start-up-Ökosystem und die Vielfalt für europäische Verbraucher untergraben.

Dieser Text stammt von unserem Pioneer Expert Johannes Reck. Möchten auch Sie Ihre Expertise einbringen? Hier erklären wir, wie Sie ein Pioneer Expert werden können.

Pioneer Expert, Mitgründer und Geschäftsführer von GetYourGuide