Lage im Überblick

Israels Armee erlebt vor Gaza-Offensive Mobilisierungskrise

Israels Regierungschef Netanjahu sieht den Gaza-Krieg vor der entscheidenden Phase.

© Leo Correa/AP/dpa

Israels Armeechef hat mit Beginn der Mobilisierung Zehntausender Reservisten für die geplante Einnahme der Stadt Gaza angekündigt, die Kampfeinsätze auszuweiten. «Wir haben die Bodenoperation in Gaza bereits begonnen», sagte Generalstabschef Ejal Zamir vor einberufenen Reservisten. «Wir dringen bereits in Gebiete vor, die wir noch nie zuvor betreten haben.» Die Kommandeure haben jedoch Medienberichten zufolge Schwierigkeiten dabei, genügend meldewillige Reservisten zu finden.

Das israelische Sicherheitskabinett hatte im August die Einnahme der Stadt Gaza im Norden des von Israel abgeriegelten Küstenstreifens gebilligt. Ein Militärsprecher wandte sich nun auf der Online-Plattform X auf Arabisch an die Bevölkerung der Stadt und erklärte, die Evakuierung sei unvermeidlich. In der Stadt Gaza sollen sich Hunderttausende Menschen aufhalten. Im Süden des Gazastreifens würden Zelte für sie vorbereitet, schrieb der Sprecher. Doch auch dort sind die Lebensbedingungen laut Hilfsorganisationen katastrophal.

Nach der Einberufung von 60.000 Reservisten für die geplante Offensive gegen die Stadt Gaza im Norden hat die israelische Armee jetzt mit der ersten Mobilisierungswelle begonnen. Inzwischen seien jedoch weniger Reservisten dazu geneigt, sich erneut zum Dienst zu melden, berichtete die «Times of Israel». Die Reservisten sollen in den kommenden Tagen ausgebildet und vorbereitet werden. Einige sollen im Westjordanland und im Norden reguläre Truppen ersetzen. Letztlich plane die Armee, vier Divisionen in die Stadt zu verlegen, berichtete die Zeitung weiter.

Nach fast zwei Jahren des Kampfes an mehreren Fronten sind viele Reservisten erschöpft und stellen Medienberichten zufolge den Sinn des Krieges infrage. «Ich weiß, dass Sie einen hohen Preis gezahlt haben – bei der Arbeit, im Studium und zu Hause», sagte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in einer Videobotschaft an die regulären Soldaten, Reservisten und ihre Familien. «Jetzt stehen wir vor der entscheidenden Phase. Ich glaube an Euch. Ich vertraue auf Euch und das gesamte Volk Israel steht hinter Euch.»

Umfragen zeigen jedoch, dass eine Mehrheit der Bevölkerung ein Abkommen mit der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas will, damit der Krieg beendet wird und die letzten Geiseln in Gaza freikommen. Viele Angehörige der Geiseln werfen Netanjahu vor, den Krieg aus politischen Gründen unnötig zu verlängern. Seine rechtsextremen Koalitionspartner, von denen sein politisches Überleben abhängt, lehnen ein Abkommen für eine Waffenruhe kategorisch ab.

Die Befehlshaber hätten inzwischen Schwierigkeiten, genügend Reservisten für die geplante Einnahme der Stadt Gaza zu mobilisieren, schrieb das «Wall Street Journal». Viele Reservisten erzählten der britischen Zeitung «Guardian», sie stünden aus persönlichen und ideologischen Gründen vor «einer schweren Entscheidung». Nur wenige wollten die Einberufung jedoch ablehnen, hieß es.

«Wir sind bereit, unser Leben zu geben (...), aber die offensichtliche Wahrheit ist, dass wir jetzt grundlos sterben», zitierte das Blatt einen Sanitäter, der kürzlich in Gaza war. Militärisch gebe es nichts mehr zu gewinnen, sagte er der Zeitung. Andererseits scheine es auch keine gute Entscheidung zu sein, den Krieg zu beenden, während die Hamas noch Macht in Gaza ausübe und Geiseln festhalte. Dies seien schwierige Fragen, sagte der Sanitäter der Zeitung.

Eine Gruppe von knapp 400 Reservisten kündigte laut Medienberichten an, einer Einberufung nicht Folge zu leisten. «Wir weigern uns, an Netanjahus illegalem Krieg teilzunehmen, und sehen es als patriotische Pflicht an, dies zu verweigern und von unseren Führern Rechenschaft zu verlangen», wurde einer von ihnen zitiert. Die geplante Einnahme der Stadt Gaza gefährde nicht nur das Leben der Soldaten, sondern auch das der Geiseln in der Gewalt der Hamas.

Im Gazastreifen befinden sich nach israelischen Angaben noch 48 Geiseln, von denen 20 am Leben sein sollen.