Thomas Schaal
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Außenpolitik

Abgesagte China-Reise: Der weltfremde Außenminister

Am Montag wollte Außenminister Johann Wadephul mit einer kleinen Wirtschaftsdelegation nach China reisen – doch weil ihm kaum Termine bestätigt wurden, wird die Reise verschoben. Die Abneigung in Peking hat eine Vorgeschichte.
Frank Sieren
22.10.2025
© Imago
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Eigentlich wollte Außenminister Johann Wadephul am Montag und Dienstag mit einer kleinen Wirtschaftsdelegation nach China reisen. Doch die Reise wurde nun kurzfristig abgesagt. Der Grund: Dem Minister wurden von chinesischer Seite bis auf einen Termin mit seinem Amtkollegen keine weiteren zugesagt, wie eine Sprecherin des Auswärtigen Amts am Freitag mitteilte.

Am Freitag zuvor wurde bereits die deutsche Botschafterin in Peking, Patricia Flor, vom chinesischen Außenministerium einbestellt. Das erfuhr The Pioneer aus chinesischen Diplomatenkreisen. Das deutsche Außenministerium konnte den Vorgang nicht bestätigen.

Grund für den Unmut war eine Rede von Außenminister Johann Wadephul wenige Tage zuvor, zum 40-jährigen Jubiläum des Japanisch-Deutschen Zentrums in Berlin. China und Russland versuchten, „die auf dem Völkerrecht basierende internationale Ordnung umzuschreiben“, betonte der Außenminister in der Rede und wird dann deutlicher:

China verbreitet in der Welt ein Narrativ, nach dem es den Multilateralismus und die multilaterale Institutionenwelt verteidigt.

Der deutsche Außenminister wirft Peking zudem im Ukrainekrieg vor, es „toleriere Nordkoreas Sanktionsumgehungen.“ Das stimmt, allerdings halten sich gut 170 von gut 190 Ländern nicht an die vom Westen verhängten Sanktionen gegen Russland.

Und Wadephuhl betont, China „ignoriere das Seevölkerrecht im südchinesischen Meer.“ Dabei erwähnt er allerdings nicht, dass die USA das Seerechtsübereinkommen nicht einmal unterschrieben haben und Peking nicht einsieht, warum man sich nun einseitig daran halten solle.

Der Außenminister legt nach:

China unterstützt die russische Aggression gegen die Ukraine – auch um eigene hegemoniale Bestrebungen zu rechtfertigen.

Das ist eine Vermutung, die für manche nahe liegt, die sich jedoch durch nichts belegen lässt.

Keine Frage: man kann, soll und darf sich mit China anlegen. Dafür sollte man jedoch stichhaltige Argumente haben. Man braucht dazu – weil Deutschland vergleichsweise unbedeutend ist – verlässliche Partner, Alleingänge sind riskant. Und schließlich: Deutschland sollte davon profitieren.

Auch die deutsche Wirtschaft, die gerne mit neuen Geschäften das strauchelnde deutsche BIP ankurbeln möchte, steht nicht Schlange, um mit Wadephul nach Peking zu reisen. „Das ist eher rufschädigend“, sagt ein deutscher Topmanager mit ausgeprägten Asiengeschäft. Nun hat sich das Thema sowieso vorerst erledigt.

Immerhin drei Vertreter von Verbänden und Ausschüssen sollten dabei sein: Auto (Hildegard Müller), Roboter (Helmut Schmid) und Catharina Claas-Mühlhäuser, die stellvertretende Vorsitzende des Asienpazifik Ausschusses der deutschen Wirtschaft, eine gestandene Landmaschinen-Unternehmerin mit viel Geschäft in China, die gerne Klartext spricht. Der Vorsitzende des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, der Siemens-Chef Roland Busch, hatte offenbar keine Zeit. Elisabeth Staudinger, Vorstand von Siemens Healthineers, sollte mit, hatte aber – wie aus Unternehmenskreisen zu erfahren war – vor der finalen Absage schon selbst wieder abgesagt. Mitkommen sollte noch Georg Weber, Technischer Geschäftsführer beim Maschinenbauer Wilo, Andreas Kroll, Geschäftsführer von Noble Elements, einem Importeur für Technologiemetalle und seltene Erden.

Wadephul wollte neben dem chinesischen Außenminister Wang Yi eigentlich den chinesischen Handelsminister Wang Wentao und Premierminister Li Qiang treffen. Da die beiden letzteren nie zusagten, waren auch Stellvertreter angefragt. Ebenso Liu Haixing, dem neuen Minister der internationalen Abteilung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei.

Chinas Außenminister Wang Yi in Berlin. © Imago

Neben Peking hatte Wadephul geplant, nach Guangzhou zu fliegen. Die Megametropole liegt im Zentrum des inzwischen „weltführenden Innovationsclusters“ Greater Bay Area. Das ist jedenfalls das Ergebnis eines Rankings, das jährlich von der Genfer UN Weltorganisation für geistiges Eigentum herausgebracht wird. Auch von dort hörte man von offenen Anfragen für Treffen mit Vertretern der Kommunistischen Partei.

Neben einem Besuch der Sun-Yat-sen Universität in Guangzhou, wo Wadephul Schüler treffen wollte, die Deutsch lernen, waren Besuche bei deutschen Unternehmen geplant. Es sollte zu Zeiss und zu WeRide gehen, einem Robo-Bushersteller, dessen Busse am Züricher Flughafen fahren.

Das war unverfänglicher und besser, als zum VW-Partner Xpeng nebenan zu fahren, denn dort hätte Wadephul in die Debatte geraten können, wie es passieren konnte, dass VW nun seine Technologie von Xpeng holen muss und nicht umgekehrt – wie früher.

Johann Wadephul mit Außenminister Takeshi Iwaya in Tokio, 18.8.25  © Imago

Wadephuls Reise stand nicht nur wegen der Berliner Japan-Rede unter einem schlechten Stern – jedenfalls bei denjenigen, die Kooperation gegenüber Konfrontation bevorzugen. Auch, weil Wadephul vor seiner Peking-Reise Asien bereits umfänglich bereist hat: Er war in Japan, Indonesien und Indien. Sein durchaus hehres Ziel: Mit „Partnerschaften mit anderen Freiheit, Sicherheit und Wohlstand zu erreichen.“

Stattdessen hat er es in wenigen Monaten bereits geschafft, aus dem Blickwinkel der Asiaten als weltfremder Außenminister zu erscheinen. Es gibt asiatische Diplomaten, die ihn bereits „little Jo“ nennen, aber das liegt vielleicht nur an seinem schwer auszusprechenden Namen.

Die Japanreise als Auftakt fand zudem zu einem diplomatisch sehr ungünstigen Zeitpunkt statt. Kaum zwei Wochen vor dem Gedenken über den 80-jährigen Sieg über die deutschen und japanischen Faschisten in Peking reiste er nach Tokio, um dort dann ausgerechnet eine neue „Premiumpartnerschaft“ zu verkünden.

Wadephul kritisiert China in Japan so, als hätte es die Vergangenheit nie gegeben. Dabei sind bei dem Überfall der Japaner im Zweiten Weltkrieg 25 Millionen Chinesen umgekommen. Die beiden Angriffskriege haben eine Tiefe Narbe in der Geschichte Chinas und Russlands hinterlassen. Wadephul streift die Geschichte in seiner Rede nur kurz. Er spricht von „ähnlichen historischen Erfahrungen“ von Japan und Deutschland. Hätte Donald Trump sich das geleistet, die Empörung wäre groß gewesen.

Tokio reagiert denn auch reserviert auf die Avancen des Deutschen. Der knappe Kommentar des japanischen Außenministeriums zum „Höflichkeitsbesuch“ Wadephuls bei dem damaligen Premierminister Ishiba: „Beide Seiten kamen überein, weiterhin eng zusammenzuarbeiten.“ Aufbruch geht anders.

Den nüchternen Japanern ist Deutschland zudem als Partner inzwischen gar zu schwach: „Die neue deutsche Regierung muss als Dreh- und Angelpunkt Europas Führungsstärke zeigen“, fordert die Finanzzeitung Nihon Keizai Shimbun.

Hat es sich denn wenigstens für Deutschlands Wirtschaft gelohnt, sich in Tokio anzudienen und Peking zu verärgern? Eher nicht. Mit einem Land eine „Premiumpartnerschaft“ zu schließen, das seine Märkte auch für deutsche Produkte viel mehr abschottet als China, und dessen Wirtschaft in den letzten 20 Jahren durchschnittlich nicht einmal um 0,5 Prozent gewachsen ist, dürfte wenig nützen. Vor allem, nachdem der japanische Yen stark an Wert verloren hat. Allein in den vergangen zwei Jahren rund 25 Prozent. Das lässt deutsche Produkte teuer werden.

Noch dünner war Wadephuls Ausbeute in Indonesien. Der deutsche Außenminister lobte die „lebendige Demokratie“ als er in Jakarta war: Kaum war er abgereist, begehrte die Bevölkerung gegen die „korrupte“ Regierung auf. Zehntausende protestierten. Mindestens sieben Menschen starben, hunderte wurden verletzt und öffentliche Gebäude wurden niedergebrannt und geplündert. Die Vereinten Nationen forderten eine Untersuchung des mutmaßlichen Einsatzes unverhältnismäßiger Gewalt bei den Protesten, während Human Rights Watch den indonesischen Behörden vorwarf, „unverantwortlich gehandelt zu haben, indem sie die Proteste als Akte des Verrats oder Terrorismus behandelten“.

Eine große Bewährungsprobe für Präsident Prabowo Subianto, einen ehemaligen General, der seit weniger als einem Jahr im Amt ist. Doch in Wadphuls Rede ist die Welt übersichtlich: Indonesien ist gut. China schlecht.

Prabowo Subianto, Wladimir Putin, Xi Jinping und die Leiter ausländischer Delegationen bei einer Militärparade zum 80. Jahrestag des Sieges im chinesischen Widerstandskrieg gegen Japan auf dem Tiananmen-Platz in Peking, China, 3.9.25 © Imago

Schade nur, dass Prabowo Wadephuls Kritik an China nicht einmal teilt und sich schon gar nicht mit ihm gegen China verbünden mag. Trotz der blutigen Proteste im eigenen Land ist der indonesische Präsident nach China gereist, um mit mehr als 25 Staats- und Regierungschefs – darunter Nordkoreas Kim Jong-Un und Russlands Wladimir Putin – an der Parade auf dem Tiananmen-Platz in Peking teilzunehmen. Es ging um den 80. Jahrestag der Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg.

Einige Monate zuvor, als sich die G7-Staats- und Regierungschefs im Juni in Kanada trafen, war Prabowo mit Putin in Sankt Petersburg und lobte China und Russland dafür, dass sie „keine Doppelmoral“ verfolgten. Von Wadephul kein öffentlicher Ton dazu. Vielmehr betont er:

Wir – Indonesien wie Deutschland – verfolgen ein gemeinsames Ziel: durch Partnerschaften mit anderen Freiheit, Sicherheit und Wohlstand zu erreichen.

Kurz nach seinem Amtsantritt Ende 2024 machte Prabowo – anders als Wadephul – Peking zu seinem ersten Auslandsaufenthalt. Während für Wadephul China das Land ist, das das „Völkerrecht missachtet“, bezeichnet Prabowo China als „eine Zivilisation, die nach Harmonie und Gemeinwohl strebt.“

Und während Wadephul mit Blick auf China in der Straße von Taiwan europäisch-asiatische Solidarität gegen Staaten fordert, die „Handelsrouten kappen“, hat Prabowo längst eine maritime Erklärung mit Peking unterzeichnet, in der er von einer „gemeinsamen Entwicklung in sich überschneidenden Bereichen“ sprach.

In Peking hat sich Prabowo zudem Investitionszusagen im Wert von über zehn Milliarden US-Dollar für Industriegebiete, Infrastruktur und Bildung gesichert. Die deutsche KfW finanziert eine S-Bahn mit einem 250-Millionen-Kredit.

Erst im Januar diesen Jahres ist Indonesien zudem den Brics-Staaten beigetreten, ein Zusammenschluss der Länder des globalen Südens, die Mehrbestimmung auf Kosten des Westens wollen. Damit signalisiert Jakarta Zustimmung für Chinas multipolare Agenda und den Wunsch nach mehr Mitsprache in den Entwicklungsländern. Das alles lässt Wadephul in seiner Rede in Jakarta unerwähnt.

Auch seine Indienreise mag Wadephul nicht recht gelingen. Wenige Tage nachdem der chinesische Präsident Xi Jinping, Russlands Präsident und Indiens Premier Narendra Modi in China eine neue Partnerschaft feiern und Modi zum ersten Mal nach sieben Jahren wieder in China war, tauchte Wadephul in Delhi auf. Mehr denn je zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort.

Wladimir Putin, Xi Jinping, Kasachstans Präsident Kassym-Schomart Tokajew, Indiens Premier Narendra Modi – Shanghai Cooperation Organisation, 01.09.25 © Imago

Während sich Putin, Xi und Modi in den Armen lagen, bekam Wadephul von Modi auf dem offiziellen Bild nicht einmal ein Lächeln, obwohl die Inder die Deutschen eigentlich sehr schätzen. Während Wadephul von „einem in jeglicher Hinsicht strategischen Partner im Indopazifik“, sprach, „zentral im System globaler Partnerschaften“, hat für Modi die 25-jährige strategische Partnerschaft zwischen Indien und Deutschland allenfalls wirtschaftlich „immenses Potential.“ Modi hat kein Interesse an einer deutschen Indopazifik-Strategie, um China einzudämmen. „Wir teilen die Vision einer multipolaren Welt, von Frieden und UN-Reformen.“ Das klingt eher nach Peking als Berlin.

Das größte Problem: Während Wadephul stets von Indopazifik spricht und damit Delhi schmeicheln möchte, hat Delhi gar keine Indopazifik-Politik: Denn die gilt nicht nur in Delhi als Kampfbegriff, den der ehemalige japanische Ministerpräsident Shinzo Abe 2007 geprägt hat. Washington hat das übernommen, um die Nachbarn Chinas gegen Peking einzunorden.

In Delhi gilt dies als ein Zeichen westlicher Einmischung, die man nun ein für alle mal überwinden möchte. Modi lehnt „Allianzen der Eindämmung“ ausdrücklich ab, und ihm passte es auch nicht, dass Wadephul behauptet, Indien könne den Ukrainekrieg beenden. Modi betont stattdessen die Rolle der UN.

Wadephul hätte sich also warm anziehen müssen bei seinem Ausflug nach China. Viel herausholen können, hätte er wahrscheinlich sowieso nicht. Und trotzdem wäre der Austausch zwischen China und Deutschland besser gewesen als keiner. Nun sind es die Chinesen, die abblocken. Wer angefangen hat, ist Auslegungssache.

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