Infrastruktur

Warum keine Projekte mehr auf die Straße kommen

Deutschland habe das Vertrauen verlernt. Im Bausektor sehe man dies exemplarisch. Da helfe auch kein Sondervermögen allein weiter, schreibt der Chef des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, Tim-Oliver Müller.
Tim-Oliver Müller
Gestern
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In der politischen Vorstellung wird so viel gebaut wie nie. Doch in der Realität rollt der Bagger noch nicht los. Deutschland hat Milliarden in Programmen und Sondervermögen gebunden und schafft es bisher nicht, ausreichend Projekte auf die Straße zu bringen.

Das bittere Fazit des Jahres: Das Sondervermögen hat nicht den erhofften Aufwuchs der Mittel im Bundeshaushalt gebracht, im Gegenteil.

Die Straße erhält minimal mehr, die Wasserstraße sogar weniger. Die versprochene Zusätzlichkeit gibt es nicht, wie mittlerweile auch der Sachverständigenrat feststellt. Doch es fehlt nicht nur am Geld. Der Widerspruch zwischen politischem Anspruch und tatsächlicher Umsetzung ist längst strukturell. Es fehlt an Vertrauen und Entscheidungen, teilweise auch an mutigen Entscheidern.

Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer Hauptverband Bauindustrie © Mark Bollhorst

Die große Ernüchterung

Das Sondervermögen „Infrastruktur und Klimaneutralität“ sollte den Aufbruch markieren. Doch wer genauer hinsieht, erkennt: Es ist weniger ein Investitionsmotor als ein Nebenschauplatz haushaltstechnischer Selbstbeschäftigung. Man hätte anderes erwarten dürfen, schließlich war das Versprechen, zusätzliche Spielräume zu schaffen. Stattdessen wurden Sonderschulden aufgebaut, die Erwartungen wecken, aber keine Spielräume für mehr Investitionen eröffnen.

Bei der Integration des Sondervermögens in den Bundeshaushalt kam es zudem immer wieder zu Missverständnissen zwischen den einzelnen Bundesressorts. Rekordsummen würden investiert und die Investitionsquote eingehalten, sagten die einen. Vor Streichlisten und Investitionsengpässen warnten andere.

Baustelle des Fehmarnbelt-Tunnels © dpa

Dabei sitzen alle am gleichen Tisch, dem Kabinettstisch. Hier hätte es bereits zu Beginn der Debatte eine Kultur politischer Kooperation gebraucht, mit transparenten Investitionsbedarfen und Freiräumen in der Mittelverwendung. Das politisch Gewollte, der Investitions-Turbo, ging jedoch im Haushalts-Klein-Klein unter, aus Kontrolle wurde Kleinteiligkeit, aus Verantwortlichkeit eine Flucht in Verfahren.

Die Folge ist Ernüchterung bei all denjenigen, die Bauen wollen und müssen. Das Sondervermögen, einst gedacht als Konjunkturimpuls, hat seine eigenen Fesseln geschaffen: Zweckbindungen, Verwendungsauflagen, Nachweisverfahren, Berichtszyklen. Ein Geldautomat mit Sicherheitscode auf jeder Taste. Jede Maßnahme muss kategorisiert werden, obwohl etwa der Straßenbau mehr ist als nur Brücke und Asphalt, mehr ist als Erhalt oder Neubau. Er ist die Grundlage des Systems Straße, die Basis unserer Wettbewerbsfähigkeit. Doch diese Realität passt nicht ins Formular.

Fachkräfte fehlen

Hinzu kommt: Auch die öffentliche Hand kämpft um Fachkräfte. Es fehlen Ingenieure, Projektleiter, Vergabejuristen. Noch schwerer wiegt: Es fehlt oftmals an erfahrenen Köpfen, die wissen, wie man komplexe Bauprojekte wirklich umsetzt. Denn die Strukturen, in denen sie arbeiten, belohnen nicht das Gelingen, sondern das Absichern. Wer schnell handelt, geht ein Risiko ein. Wer abwartet, bleibt unbeschadet. So wird das System träge, behäbig, ängstlich.

Das System ist zu komplex

In der Autobahn GmbH verdichtet sich all das zu einem Sinnbild der Gegenwart: gegründet, um Tempo zu machen, ist sie gefangen in der eigenen Komplexität. Kaum eine Gesellschaft des Bundes muss häufiger auf neue Vorgaben reagieren. Jede Entscheidung bringt neue Verfahren, jede Priorisierung neue Projektlisten. Die Organisation hat ihren eigenen Aufbau noch nicht abgeschlossen, da wird sie wieder umgebaut. Statt liefern zu können, verwaltet sie ihre eigene Veränderung.

Verantwortungsverlust im Zuständigkeitswirrwarr

Dabei ist das Grundproblem kein Mangel am Willen, sondern an Stabilität. Verwaltung funktioniert nur mit Konstanz. Doch in einem politischen System, das von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr denkt, von Ressortabstimmung zu Ressortabstimmung, entsteht keine langfristige Perspektive. Eine Verwaltung, die permanent umsteuern muss, verliert ihre Fähigkeit zum Steuern.

Es wäre an der Zeit, die Fehler beim Namen zu nennen: Die Bundesrepublik hat die Investitionsfähigkeit ihrer eigenen Strukturen ausgehöhlt. Der Versuch, mit immer neuen Regeln Kontrolle zu schaffen, hat das Gegenteil bewirkt. Aus dem Wunsch nach Effizienz, unternehmerischer Freiheit und schnellen Entscheidungen wurde ein Korsett aus Vorschriften geschaffen. Aus der Idee politischer Verantwortung wurde ein Flickenteppich von Zuständigkeiten.

Kritik aus der Bauwirtschaft am Sondervermögen

Weil die Verwendung unklar definiert ist, hält die Branche Projekte zurück.

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Veröffentlicht von Claudia Scholz.

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Die Angst vor Fehlern darf aber die Entscheidung nicht lähmen. Denn Straßen, Brücken und Tunnel entstehen nicht in Excel-Tabellen und Haushaltsvermerken, sie entstehen im realen Leben, bei Wind und Wetter mit Unwägbarkeiten, die meist erst nach dem medienwirksamen Spatenstich auf das Tableau kommen.

Eine neue Mentalität ist gefordert

Was also tun? Die Antwort liegt nicht in neuen Programmen, sondern in einer neuen Haltung. Deutschland braucht weniger bürokratische Absicherung und mehr Entscheidungskultur. Weniger Misstrauen und mehr Mut, Verantwortung zu übertragen.

Die Autobahn GmbH im Konkreten muss den letzten und vielleicht wichtigsten Schritt ihrer Reform gehen – klare bauliche Ziele in Form von transparenten Bauprogrammen, schnelle und unbürokratische Verfahren sowie klare Verantwortlichkeiten, um gemeinsam mit der Branche die Transformation in digitale und klimafreundliche Bauweisen zu gestalten.

Die Politik muss lernen, loszulassen. Das bedeutet so viel Kontrolle wie nötig, aber auch Freiräume wie möglich. Anstatt starre, kleinteilige Vorgaben bei Mittelverwendung oder öffentlicher Auftragsvergabe braucht es einen durch die Politik vorgegebenen Zielkorridor, der in seiner Erreichung frei gestaltbar sein muss.

Die Zielkontrolle sollte dabei über ein Monitoring-System erfolgen, so dass der Deutsche Bundestag und das Bundesverkehrsministerium Mittelabfluss, Projektplanung und Planungsstände jederzeit einsehen können. Technisch ist das kein Problem, es ist eine Frage des Willens. Denn am Ende entscheidet nicht ausschließlich die Höhe des Budgets über den Zustand der Straßen, sondern die Fähigkeit, das, was geplant ist, auch umzusetzen.

Deutschland hat ein Vertrauensproblem. Das müssen wir ablegen. Bis dahin wird kein Sondervermögen der Welt unsere Infrastruktur heilen. Gelingen wird es aber, wenn wir uns auf unsere ureigene DNA besinnen: Ingenieurskunst, Planungseffizienz und den Willen, nach vorne zu gehen.

„Unsere Perspektive ist länger als zehn Jahre“

Der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Bauindustrie Tim-Oliver Müller im Interview.

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Veröffentlicht von Nils Heisterhagen.

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