Transatlantische Kooperation

Wo ist der amerikanische Freund?

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 © Andreas Schwarz

In Harvard kam am Wochenende die Elite von morgen zusammen, um sich über die Zukunft der transatlantischen Beziehung zwischen Deutschland und den USA auszutauschen. Doch für die German American Conference interessieren sich vor allem Deutsche.

Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt schaut auf ein Meer neugieriger Gesichter. Vor seinem Rednerpult im Forum der Harvard Kennedy School sitzt die Elite von morgen, Studentinnen und Studenten der führenden Universitäten in Deutschland und den USA. Sie alle haben sich hier für die German American Conference versammelt.

„Wir sind uns sehr nahe. Ich würde sagen, 99,9 Prozent“, verkündet Schmidt zum Stand der transatlantischen Beziehung. Zustimmendes Nicken verbreitet sich im Publikum. Doch eine Überraschung ist das nicht, denn es ist ein Heimspiel für den Politiker. Im Saal sitzen vor allem Deutsche. Amerikaner sind an diesem Oktoberwochenende nur wenige anzutreffen.

Wolfgang Schmidt © Andreas Schwarz

Die German American Conference, kurz GAC, ist eine von Studenten für Studenten organisierte Konferenz an der Harvard Kennedy School, dem politikwissenschaftlichen Flügel der Harvard Universität in Boston. Das Ziel: Junge Köpfe mit führenden Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft aus Deutschland und den USA zusammenbringen, um die transatlantische Kooperation zu stärken und für die nächste Generation zu verstetigen.

„Die Beziehungen zwischen den USA und Deutschland waren noch nie so gut wie heute“, erzählt der deutsche Botschafter in den Vereinigten Staaten, Andreas Michaelis, zum Auftakt der Konferenz. Die Interdependenz der beiden Nationen sei kein Risiko, sondern ein klarer Vorteil, der sich noch weiter ausweiten müsse. Für die German American Conference hat er nichts als Lob übrig:

Ja, die Münchner Sicherheitskonferenz ist sehr wichtig, aber das hier ist das Glanzlicht der transatlantischen Beziehungen.

Der deutsche Botschafter in den Vereinigten Staaten, Andreas Michaelis © Andreas Schwarz

Die Zahlen der GAC sind für ein Studentenprojekt beeindruckend: 130 Speaker, über 500 Teilnehmende aus 20 Ländern. Geplant und durchgeführt von 80 Studentinnen und Studenten. 2023 ist das 15. Jahr für die GAC, inzwischen ist sie sogar die größte Konferenz auf dem Harvard-Campus.

Doch die Statistik offenbart auch das Problem: Nur zehn Prozent der Teilnehmer sind Amerikaner. Aus Deutschland sind Studenten etwa aus Karlsruhe, Mannheim und München eingeflogen oder haben ihren Auslandsaufenthalt an einer amerikanischen Universität kurz unterbrochen, um nach Boston zu kommen. Rund 70 Prozent der Teilnehmer sind Deutsch, wie die Organisatoren, von denen der Großteil auch aus Deutschland kommt, verraten.

Dabei wurde bei der Planung der Konferenz versucht, sowohl bei den Speakern wie den Teilnehmern ein gleiches Verhältnis zwischen Amerikanern und Deutschen zu schaffen. „Es ist schwierig, nicht-deutsche Personen anzuwerben“, sagt Kai Krautter, einer der Co-Vorsitzenden im Team der GAC. Immerhin konnten sie sicherstellen, dass in jeder Podiumsdiskussion mindestens eine amerikanische Stimme vertreten war. Aber das Interesse an Deutschland sei einfach nicht groß genug. Er weiß zu berichten:

Manche glauben, dass Angela Merkel noch immer Bundeskanzlerin ist.

Krautter kommt selbst aus dem Saarland und ist seit zweieinhalb Jahren in Harvard, wo er an der Business School promoviert. Zur GAC ist er gekommen, weil er überzeugt ist, dass zwar die Deutschen von den Amerikanern viel lernen können, doch „andersrum genauso“. Hier sei man „neidisch auf unseren hohen Lebensstandard, faire Arbeitszeiten und erstklassige Bildung“.

„Daher repräsentieren wir Deutschland in den USA“, verkündet er. Viele Teilnehmer seien deutsche Studenten an amerikanischen Universitäten, die ihre Erkenntnisse von der Konferenz dann unter Amerikanern verbreiten. Werbung für das Heimatland also.

Auftakt der GAC vor der Harvard Memorial Church © Andreas Schwarz

Was die German American Conference vor Augen führt: Deutschland hat kein Imageproblem, sondern taucht auf dem Radar der jungen Amerikaner gar nicht erst auf. Die transatlantische Band ist solide, heißt es immer wieder auf den vielen Bühnen der Konferenz. Aber unter dem Nachwuchs auf der anderen Seite des Atlantik scheint das Interesse, die Verantwortung der Kooperation selbst zu übernehmen, gering.

Darüber wundert sich auch Bridget Sheridan, eine der wenigen amerikanischen Teilnehmerinnen der GAC. Aufgewachsen in Washington, D.C. studiert sie International Affairs und Deutsch an der University of Georgia im gleichnamigen Bundesstaat. Sie klagt:

Es ist unglaublich, dass so viele von euch den weiten Weg in die USA auf sich nehmen, aber Amerikaner aus der Region kommen nicht.

Bridget bringt ein großes Interesse an der Bundesrepublik mit, sie liest viel und gerne deutsche Nachrichten. Für sie war Wolfgang Schmidt mit seinen Einblicken ins Kanzleramt bisher das Highlight der Konferenz. Aber wieso gerade Deutschland?

„Ich mochte in der Highschool meinen Deutschlehrer mehr als den in Spanisch“, sagt sie und lacht kurz. Daraus habe sich nicht nur eine Begeisterung für die deutsche Sprache, sondern auch für das Land selbst entwickelt. Im letzten Sommer war sie zum ersten Mal da, unter anderem in Freiburg und Heidelberg.

Harvard Memorial Church © Andreas Schwarz

Bridget ist damit aber eine Ausnahme, da ist sie sich sicher. „Amerikaner sind eher mit sich selbst beschäftigt“, sagt sie. Deutschland sei eigentlich kein Thema in den Nachrichten „und wenn es nicht um die USA geht, dann um Nahost, die Ukraine oder natürlich China.“

Anders ist es bei Personen mit internationalen familiären Wurzeln. „Amerikaner entscheiden sich eher für Deutsch als Fremdsprache oder gehen beim Schüleraustausch nach Deutschland, wenn ihre Familie ursprünglich von dort kommt“, berichtet Anita Shanker aus ihrem Umfeld. Sie ist Amerikanerin, studiert International Business an der Northeastern University in Boston und gehört zum Vorstand der German American Conference. Auch Anita sieht sich und ihr Interesse an Deutschland aber als Ausnahme:

Meine Eltern kamen aus Sri Lanka in die USA. Ich glaube, dass ich dadurch offener für andere Kulturen bin.

Anita Shanker und Kai Krautter, Co-Vorsitzende der GAC © Tobias August

Insgesamt hat Anita, verteilt auf verschiedene Reisen und Auslandsaufenthalte im Studium, 15 Monate in Deutschland verbracht. Ihr großer Traum ist es, für den Master nach Hamburg zu gehen. „Letztendlich sind wir uns hier und dort sehr ähnlich“, findet sie.

Dabei bemerkt Anita aber auch, wie Deutschland seinem europäischen Nachbar unterliegt: „Frankreich ist hier viel präsenter“, berichtet sie. Das liege an dem großen Einfluss auf das Essen und die Sprache. „Der durchschnittliche Amerikaner denkt bei Deutschland an das Oktoberfest und weiß darüber hinaus nur, dass Football nicht gleich Fußball ist.“ Daher brauche es so Orte wie die German American Conference, um überhaupt Bewusstsein füreinander zu schaffen.

Es zeichnet sich ein kurioses Bild ab. Für viele der deutschen Studenten ist es das erste Mal in den USA, zum ersten Mal beim amerikanischen Freund, den man seit der Kindheit in Film und Fernsehen kennen und lieben gelernt hat. Alles ist da: Diner, SUVs, Wasser aus der Dose und Cheesecake. Aber der Freund selbst bleibt fern?

Nicht überall. Zu den Teilnehmern der German American Conference gehört auch eine Gruppe Studenten der beiden Universitäten der Bundeswehr in Deutschland. Die Offiziersanwärter sind für das Wochenende aus Hamburg und München angereist, um nicht nur an den Veranstaltungen der Konferenz teilzunehmen, sondern sich mit einer konkreten Gruppe auszutauschen: den zukünftigen Offizieren von der renommierten United States Military Academy in West Point, New York.

Auch die Universitäten der Bundeswehr waren auf der GAC vertreten © Andreas Schwarz

Ein Leutnant, der in Hamburg studiert und lieber nicht namentlich genannt werden möchte, sorgt sich um die zukünftige Kooperation der Streitkräfte, sollte Donald Trump 2024 die Präsidentschaft gewinnen. „Die Amerikaner müssen das, was sie machen, weiter machen.“ Auch die „Kameraden aus West Point wollen mehr Zusammenarbeit“, stellt er klar. An seinem Ton wird deutlich: Hier wird die Diskussion um transatlantische Zusammenarbeit plötzlich real.

Und jetzt? Bei der German American Conference erlebt man genau jene aufgeweckte und inspirierte junge Menschen, die zu den Entscheidern der Zukunft aufsteigen werden. Sie sind es, die Deutschland auch unter den Amerikanern ins Gespräch bringen können. Damit ist die GAC ein Versuch, den transatlantischen Austausch des Nachwuchses zu ermöglichen – und ihm frischen Wind zu verpassen.

Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt spricht an der Harvard Kennedy School © Andreas Schwarz

Zum Abschluss seiner Rede blickt Wolfgang Schmidt kurz hinter sich. Da stehen an den Rändern der Bühne drei Fahnenständer, die USA auf der einen, Europa und Deutschland auf der anderen Seite. „In Wahrheit sollten schon jetzt diese drei Fahnen beieinander stehen und nicht so weit voneinander getrennt“, sagt er humorvoll. Doch so weit ist die nächste Generation Transatlantiker noch nicht. Am Ende des Wochenendes bekommt man dann aber den Eindruck, dass sich bei der German American Conference genau darum gekümmert wird: um ein gemeinsames Zusammenrücken.