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Herr Heil, schlafen Sie im Moment noch gut bei den Summen, um die es gerade geht?

Hubertus Heil: Auf den ersten Blick scheint das alles atemberaubend zu sein. Es ist viel Arbeit, und es kostet auch manchmal ein bisschen Schlaf.

In der jetzigen Situation scheint es, als seien Sie kaum noch als Arbeitsminister unterwegs. Sie sind eigentlich mittlerweile eher ein „Kurz-Arbeitsminister".

Heil: Kurzarbeit ist in der akuten Phase der Pandemie unsere stabilste Brücke über ein sehr tiefes wirtschaftliches Tal. Man muss das ja im internationalen Vergleich sehen. Kurzarbeit ist teuer, aber wir haben mit Kurzarbeit Millionen von Arbeitsplätzen in Deutschland erst einmal gesichert.

Wie viele Anträge auf Kurzarbeit haben wir aktuell?

Heil: Wir haben wahrscheinlich sechs bis sieben Millionen Menschen in Kurzarbeit. Das ist eine gigantische Zahl. Aber in den USA sind in den letzten drei Monaten 41 Millionen Jobs verschwunden. Wir haben erst einmal Brücken gebaut. Mein Ziel ist ja nicht, dass die Leute dauerhaft in Kurzarbeit bleiben. Deshalb ist das Konjunkturpaket wichtig, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, um für Kaufkraft, für Investitionen zu sorgen. Dafür, dass auch wieder voll gearbeitet werden kann.

Wir dürfen nicht leichtsinnig werden.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD)

Mit diesem Paket sind viele Hoffnungen verbunden. Wann geht es mit Wirtschaft und Konjunktur wieder aufwärts?

Heil: Die Zielmarke ist, dass die Maßnahmen unmittelbar wirksam werden, so schnell wie möglich. Das betrifft die Jahre 2020 und 2021. Das sind die üblichen Regeln, die man heute hat für Konjunkturpakete. Es muss zum richtigen Zeitpunkt kommen. Die Lockerungen helfen, dass das Wirtschaftsgeschehen wieder in Gang kommt. Aber Impulse für Kaufkraft, Mehrwertsteuersenkung für Investitionen auch gerade der Kommunen sind wichtig: Impulse für die Kaufkraft von Familien. Es muss zeitlich befristet sein, damit es wirksam ist.

Sie haben gerade gesagt, dass es ganz wichtig wäre, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen. Jetzt, wo alles wieder ein bisschen aufmacht, käme es zum richtigen Zeitpunkt. Aber wir wissen doch noch gar nicht, ob langfristig alles aufmacht. Dass wir eine zweite Welle kriegen, steht im Raum. Kann es sein, dass dann dieses Konjunkturpaket im Herbst zum falschen Zeitpunkt kommt?

Heil: Die Gefahr ist nicht ausgeschlossen. Wir haben auch Beispiele international, die uns wachsam sein lassen müssen. (…) Wir müssen aufpassen, dass das Gesundheitssystem tüchtig bleibt. Und wir müssen darauf achten, dass man sich an Regeln hält. Deshalb geht so etwas wie auf dem Landwehrkanal in Berlin gar nicht. Wir dürfen nicht leichtsinnig werden.

Sie sprechen diese Fete mit den Gummibooten in Berlin am Wochenende an.

Heil: Da fehlt mir jedes Verständnis. Da ist übrigens vor einem Krankenhaus laut Musik gemacht worden, wo Pflegerinnen und Pfleger und Ärzte eigentlich dafür arbeiten, Gesundheit zu schützen. Das hat eine zynische Note, und es sollte ein Weckruf sein, sich besser zu benehmen. (…)

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) auf der Pioneer One. © The Pioneer

Muss man nicht ehrlich sein und sagen: Der Staat kann auch mit einem Konjunkturprogramm nicht jeden Job retten. Muss man nicht vor überzogenen Erwartungen an dieses Paket warnen?

Heil: Das habe ich angesichts der Größe der ökonomischen Herausforderung immer gesagt. Wir reden ja wirklich von der größten ökonomischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderung unserer Generation. Und es gibt für nichts eine Blaupause oder ein Drehbuch. Das muss man immer wieder sagen, habe ich immer gesagt. Ich kann wirklich nicht für jeden Job garantieren. Aber dass wir um jeden Job kämpfen, das können wir mit den Mitteln des Staates unterstützen, übrigens auch mit den Mitteln des Sozialstaats. (…)

Der Wirtschaftsminister hat ja gesagt, kein Job wird verloren gehen. Sie sagen das jetzt anders. War diese frühe Festlegung von Peter Altmaier ein Fehler?

Heil: Ich will Peter Altmaier nicht in den Senkel stellen. Er hat gesagt, sein Ziel sei, dass kein Unternehmen, kein gesundes Unternehmen in der Krise kaputt geht. Die Größe der Krise war am Anfang ökonomisch auch nicht so absehbar, das muss man fairerweise sagen. Ich habe immer gesagt, ein Staat kann nicht für jeden Arbeitsplatz garantieren.

Was ist eigentlich für Sie das größere Übel: Höhere Sozialbeiträge, um den Sozialstaat zu finanzieren, oder tatsächlich irgendwann Einschnitte?

Heil: Im Konjunkturpaket haben wir vereinbart, dass wir in dieser Zeit im Jahre 2020 und 2021 keine Sozialversicherungsbeiträge erhöhen wollen, weil es ökonomisch nicht in die Landschaft passt, zu Lasten von Unternehmen und Beschäftigten, jetzt Beiträge zu erhöhen. Trotzdem kann man ja nicht negieren, dass Sozialversicherungssysteme ziemlich unter Druck stehen. Da brechen Einnahmen weg, und auf der anderen Seite hat man viele Ausgaben übrigens sehr unterschiedlich. Die Bundesagentur für Arbeit ist sehr gefragt. Wir haben da in guten Zeiten Rücklagen von 26 Milliarden Euro bilden können.

Die sind bald weg.

Heil: Es kann sein, dass angesichts der Vielzahl von Kurzarbeit die Rücklagen nicht reichen werden. Dann sind allerdings nicht höhere Beiträge oder Kürzung von Sozialleistungen gefragt, sondern Liquiditätshilfen aus dem Bundeshaushalt. Und das ist mit der sozial Garantie für 2020 und 21 gesichert, dass es ökonomisch und sozial sinnvoll.

Wie sicher sind Sie, dass die Unternehmen, die Firmen, die Händler tatsächlich diese Mehrwertsteuersenkung auch weitergeben?

Heil: Ich gehe davon aus, dass das in vielen Bereichen der Fall sein wird. Die Unternehmen haben ja ein Interesse daran, ihre Produkte und ihre Dienstleistungen abzusetzen. Deshalb wird es in vielen Bereichen Rabatte geben, um tatsächlich Absatz anzukurbeln. Ich kann das nicht in jedem einzelnen Fall garantieren, weil der Staat da kein Durchgriffsrecht auf Preisgestaltung hat. Aber der ökonomische Impuls ist richtig, und ich glaube, das wird sich auch deutlich machen. Es geht auch um Psychologie, gar keine Frage.

Nochmal zur Mehrwertsteuer: Im politischen Berlin tobt ja der Wettkampf. Wer hat sich das als Erster ausgedacht?

Heil: Wir sind ja nicht bei der Ricola Schweizer Kräuterzucker: Wer hat es erfunden, heißt es da. Klar ist, dass die Sozialdemokraten das richtig finden und dass in der Bundestagsfraktion schon lange solche Vorschläge gegeben hat. Und wenn Union und SPD unabhängig voneinander zu den gleichen Schlüssen kommen, zählt das Ergebnis.

Kommen wir zu einem großen Prestigeprojekt der SPD - zur Grundrente. Passt dieses Projekt noch in die Zeit?

Heil: Die Grundrente muss kommen. Und gerade jetzt? Wir haben jetzt in den letzten Wochen und Monaten viel über die Heldinnen und Helden des Alltags gesprochen. Das sind oft Menschen - vor allen Dingen Frauen - mit einem sehr geringen Einkommen, die auf eine Grundrente deshalb auch angewiesen sind. (…) Das Zweite ist, dass es auch ökonomisch vernünftig, weil es durchaus im nächsten Jahr die Grundrente in Kraft setzen, auch dazu führt, dass auch die Nachfrage die Kaufkraft gestärkt wird.

Normalerweise ist doch das Prinzip in Deutschland: Die Renten steigen mit den Löhnen. Jetzt haben viele Rieseneinbußen bei den Löhnen, entweder durch Kurzarbeit oder weil bestimmte Lohnabschlüsse in nächster Zeit nicht so laufen werden, wie man sich das gewünscht hätte. Die Arbeitnehmer werden eher weniger haben und die Rentner kriegen mehr. Das passt doch überhaupt nicht zusammen.

Heil: Mit Verlaub - das ist nicht ganz richtig. Die Rentenerhöhung jetzt zum 1. Juli folgt der Lohnentwicklung des letzten Jahres. Und dabei bleibt es auch. Ich bin nicht dafür, dass man das in solchen Zeiten aushebelt. (…) Bei der Grundrente geht es darum, dass wir die Kaufkraft derjenigen stärken, die zwar ein Leben lang gearbeitet haben, die Kinder erzogen haben, die Angehörige gepflegt haben, aber die aufgrund von viel zu niedrigen Löhnen am Ende nicht viel mehr haben als die Grundsicherung. Das ist also auch eine Frage der Leistungsgerechtigkeit. (…)

Was hat Sie in dieser Krise am meisten aufgeregt? Etwa, dass diese Krise die Krise unseres Schulsystems offenbart hat?

Heil: Mich bedrückt, würde ich sagen, natürlich das, was Familien so erlebt haben in den letzten Monaten auch viele Frauen, die einen Großteil der Lasten getragen haben, und für die Homeoffice, wenn es sich mit Homeschooling durch Schließung von Kitas und Schulen verbunden hat, eine erhebliche Last und Herausforderung waren auch sehr Nervenzellen. Das ist auch etwas, wo wir, wo wir Konsequenzen ziehen müssen. Es gibt ja die Befürchtung der Soziologin Jutta Allmendinger, dass die Krise dauerhaft dazu führt, dass zur strukturellen Benachteiligung von Frauen kommt. Das dürfe man nicht zulassen.

Der Staat hat so viele Verbote und Gebote gemacht zur Pandemie- Bekämpfung gemacht, die auch weitgehend akzeptiert worden sind. Man kann wieder ins Fitnessstudio gehen, man kann zum Friseur gehen. Aber die Kinder können nicht in den Regelunterricht in die Schule. Ist da nicht was schief gelaufen?

Heil: Ich erlebe es ja auch in der eigenen Familie. Mein Sohn ist in der zweiten Klasse und hat jetzt keinen Regelbetrieb (…) Meine Tochter ist in der Kita und freut sich eigentlich auf ihre Einschulung. Ich wünsche mir, dass wir so schnell wie möglich wieder einen neuen Regelbetrieb in der Schule bekommen.

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