Deutsche Energiepolitik

Die drei Lebenslügen der grünen Klimapolitik

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Die deutsche Energiepolitik steht im Spannungsfeld zwischen ökonomischen und ökologischen Herausforderungen. Warum die komplexen Wege und Irrwege dieser Politik weitreichende und globale Auswirkungen haben, beleuchtet Gabor Steingart.

Es gibt verschiedene Wege, eine Volkswirtschaft zu beschädigen. Die deutschen Energiepolitiker kennen sie alle. Ihre Irrwege bleiben auch dann Irrwege, wenn sie es allesamt ins Bundesgesetzblatt geschafft haben.

Ein Windrad in eisiger Landschaft © imago

# 1 Der Vorrang der erneuerbaren Energie ist teuer und im Winter extrem ineffektiv.

Eine mit Schnee bedeckte Solaranlage  © Imago

Deutschland ist zusammen mit Polen das europäische Land mit dem höchsten CO2-Ausstoß in diesem Winter. Die Gründe: Der nahezu CO2-freie Atomstrom wurde abgeschaltet. Es weht derzeit kaum Wind und die Sonne scheint im Winterhalbjahr nur minimal. Und wenn sie scheint, trifft sie auf schneebedeckte Sonnenkollektoren. Auf allen Messgeräten kann man die Dunkelflaute derzeit beobachten.

Eine Infografik mit dem Titel: Deutschland und Polen: Der braune Strom

Stromerzeugung in Europa der letzten 30 Tage nach CO2-Intensität, in Gramm CO2-Äquivalente pro Kilowattstunde

Eine Infografik mit dem Titel: Frankreich vs. Deutschland

Die vier größten Quellen der Stromerzeugung in den vergangenen 30 Tagen, in Gigawattstunden

Das bedeutet: Dieser sogenannte Flatterstrom – Flatterstrom deshalb, weil er unzuverlässig ist – kann den Strombedarf des Landes nicht decken, weshalb Kohle- und Gaskraftwerke auf vollen Touren laufen. Sie sind in diesem Winter die Hauptlieferanten von Strom. Wer derzeit ein Elektroauto fährt oder eine Wärmepumpe betreibt, ist streng genommen eine „Umweltsau“, denn er tankt mehrheitlich Kohle und Gas.

Eine Infografik mit dem Titel: Deutschland: Grüner Strom?

Nettostromerzeugung in Deutschland seit Januar 2019 (gleitender 7-Tage-Durchschnitt), in Terawattstunden

Da es auch im Sommer Schlechtwetterperioden gibt und die Windernte schwankt, kann Deutschland sich den Ausstieg aus den fossilen Energien gar nicht leisten. Sie werden, solange keine leistungsfähigen Speichermedien für Wind und Solar existieren, als Backup gebraucht. Kohle und Gas sind die unehelichen Kinder von Sonne und Wind.

# 2 Der Ausstieg aus der Kernenergie wirft Deutschland technologisch zurück.

Auf der Klimakonferenz in Dubai wurde einmal mehr deutlich, dass die Behauptung, die Atomenergie sei weltweit ein Auslaufmodell, der Grundlage entbehrt. Das Gegenteil ist richtig. Derzeit gibt es 439 Kernkraftwerke in 32 Ländern, die rund zehn Prozent des weltweiten Stroms und etwa ein Viertel der kohlenstoffarmen Energie liefern. Weitere 62 neue Reaktoren werden weltweit gebaut, 110 befinden sich in der Projektierungsphase. Netto gab es in den vergangenen Jahren einen Zubau an nuklearer Kraftwerkskapazität.

Eine Infografik mit dem Titel: Deutschland: Atomkraft? Nein danke

Aktuell betriebene, sich im Bau befindende und geplante Atomreaktoren in ausgewählten Ländern

Hinzu kommt: Die Industrie forscht an neuen Mini-Reaktoren, die kaum größer als ein Kühlschrank sind und dezentral CO2-freien Strom produzieren können, der wenig atomaren Abfall hinterlässt. Vor allem in Frankreich: Dort sollen im Rahmen des Ende 2021 verkündeten Zukunftsprogramms „France 2030“ eine Milliarde Euro zur Entwicklung der Mini-Reaktoren genutzt werden.

Nach dem deutschen AKW-Ausstieg, dem wenig später erfolgten Ausstieg aus dem Ausstieg und dem wenig später folgenden Wiedereinstieg in den Ausstieg steht der Bundesrepublik im Falle eines Regierungswechsels die nächste Rolle rückwärts bevor. CDU und CSU sind entschlossen, erneut in diese Technologie einzusteigen. Jens Spahn sagt:

Kernkraft erlebt weltweit eine Renaissance.

Jens Spahn © imago

# 3 Das Aus für den Verbrennermotor ist ein Jahrhundertfehler.

Die Elektromobilität wächst, aber wird in den kommenden 100 Jahren weltweit nicht die Mehrheitstechnologie für den gesamten Fuhrpark der Erde stellen können. Der Verbrennermotor bleibt eine wichtige und in großen Teilmärkten dominante Antriebskraft.

Präsentation eines E-Autos auf der Japan Mobility Show 2023 © imago

Hier die dazugehörige Mathematik:

Es gibt weltweit fast 1,3 Milliarden Personenkraftwagen. Die globale Autoindustrie setzte 2022 über 71,7 Millionen neue Autos ab. Davon waren rund 8,7 Millionen rein elektrisch betrieben – also rund zwölf Prozent.

Das bedeutet: Die Elektrifizierung der gesamten globalen Fahrzeugflotte dauert viele Jahrzehnte – selbst bei einem zügigen Hochfahren der Elektroproduktion. Ein Rechenmodell verdeutlicht das Problem: Wenn im bisherigen Tempo weiter elektrifiziert wird, stünden nach 100 Jahren erst 870 Millionen reine Elektrofahrzeuge bereit, von denen allerdings zwei Drittel schon wieder verschrottet werden müssten, weil sie zu alt wären.

Eine Studie von BloombergNEF geht davon aus, dass bis zum Jahr 2040 die Elektrofahrzeuge knapp 60 Prozent der Neufahrzeuge ausmachen. Das würde, gemessen am heutigen Output der Autoindustrie, immer noch erst 43 Millionen Elektrofahrzeuge pro Jahr bedeuten. Auch dann würde die Erneuerung einer weltweiten Fahrzeugflotte von 1,3 Milliarden Fahrzeugen einen sehr langen Zeitraum in Anspruch nehmen.

Hinzu kommen die Knappheit bei den Seltenen Erden und die fehlende Ladeinfrastruktur in großen Staaten und Städten. Zum Vergleich: In Mexiko lag der Anteil verkaufter rein elektrischer Pkw am Gesamtabsatz bei nur 0,5 Prozent.

Das bedeutet: Wenn die deutsche Automobilindustrie sich tatsächlich aus der Produktion und Entwicklung von Verbrennermotoren verabschiedet, wird sie weltweit nicht mehr vorne mitspielen können. Denn wer seinen Inlandsmarkt verliert, kann innerhalb kürzester Zeit auch die Auslandsmärkte nicht mehr bespielen. Deshalb hat sich der weltweit zweitgrößte Hersteller, Toyota, bewusst für die Gleichzeitigkeit der Entwicklung von Elektroautos, mit Wasserstoff betriebenen Fahrzeugen und Verbrennern entschieden.

Koji Sato, CEO von Toyota © imago

Fazit: Technologieoffenheit ist auch für die deutsche Industrie überlebenswichtig – im Automobilgeschäft und im Energiesektor. Nicht die erneuerbaren Energien oder die Elektromobilität sind der Fehler. Der Fehler liegt in der Einseitigkeit. Ideologie ist ein Religionsersatz, aber eben kein Geschäftsmodell.