Christian Lindner im Interview

„Steuererhöhungen ausgeschlossen“

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Pioneer: Herr Lindner, Sie kommen soeben aus dem Bundeskanzleramt. Gibt es irgendetwas Neues, was uns interessieren könnte?

Wir haben jetzt in adventlicher Stimmung zusammengesessen und über die anstehenden Fragen miteinander gesprochen. Aber das ist noch nichts für die Öffentlichkeit. Wir arbeiten an einer Gesamtlösung für den Haushalt 24. Da ist noch etwas zu tun.

Pioneer: Wer war dabei bei dieser adventlichen Zusammenkunft?

Gegenwärtig sind es der Bundeskanzler, der Vizekanzler und ich, die wir Vorschläge erarbeiten, die dann im größeren Kreis den Fraktionen, dem Kabinett und den Koalitionsparteien vorgetragen werden.

Pioneer: Wie viel Geld fehlt in der Kasse für das kommende Jahr und wie viel für die Jahre danach?

Das Urteil des Verfassungsgerichts hat keine so große Auswirkung auf den Bundeshaushalt selbst. Insgesamt haben wir einen Handlungsbedarf von 17 Milliarden Euro im Jahr 2024.

Christian Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz © dpa

Pioneer: Einige Ihrer Koalitionspartner wollen jetzt gerne an die Schuldenbremse ran. „Ein Akt der Selbstfesselung“ sei das, sagen die Freunde einer höheren Staatsverschuldung. Sie dagegen haben in einem Beitrag der FAZ geschrieben, dass Sie die Schuldenbremse weder abschaffen noch schleifen, sondern schlicht einhalten wollten. Heißt das 0,0 zusätzlicher Kredit?

Ja! Die Schuldenbremse selbst ist ja flexibel. Die erlaubt, wenn die Konjunktur schlecht ist, auch eine höhere Nettokreditaufnahme. Aber insgesamt sorgt sie für eine Disziplinierung der Politik, nämlich mit dem Geld auszukommen, das die Bürgerinnen und Bürger dem Staat zur Verfügung stellen. Wir müssen die hohen Einnahmen, die wir im Staatshaushalt haben, nutzen, um wirksamere Politik zu machen.

Pioneer: Das geht nur mit mehr Geld, sagen SPD und Grüne, weshalb sie entweder die Kreditaufnahme erhöhen oder die Steuern heraufsetzen wollen.

Ich bin überzeugt, man kann auch sehr gute Politik ohne Geld machen. Die Erneuerung unserer Wirtschaft und die Rückkehr auf einen Wachstumspfad, das kann man kostenfrei erreichen, indem wir weniger Bürokratie durch Regulierung zulassen, mehr marktwirtschaftlichen Klimaschutz und zusätzliche Anreize für private Investitionen. Diese Angebotsseite der Wirtschaft zu stärken, kostet den Staat kein Geld. Er kann sogar öffentliches Geld sparen.

Eine Infografik mit dem Titel: Steigende Zinsbelastung

Zinsausgaben am Kreditmarkt, in Milliarden Euro

Pioneer: Der Bundeswirtschaftsminister setzt auf die Nachfrageseite und sagt: Wenn die Regierung jetzt nicht zusätzliche Mittel für Investitionen freischaltet, würde Deutschland einen Wirtschaftseinbruch erleiden.

Wir sollten in dieser Situation nicht über weniger Subventionen klagen, sondern das zum Anlass nehmen, zu schauen, wo können wir privates Kapital mobilisieren. Und wir sollten der privaten Initiative mehr Respekt zollen, als manche das in der Vergangenheit getan haben.

Christian Lindner © Anne Hufnagl

Pioneer: Vielleicht lässt sich dieser Respekt vor der Privatinitiative auch mit dem staatlichen Sparen verbinden. Stichwort Bürgergeld: Da tritt der Staat mit seinen 2.400 € netto für eine Familie mit zwei Kindern in die Lohnkonkurrenz zur Privatwirtschaft.

Ich bin absolut davon überzeugt, dass sich Arbeit immer lohnen muss, insbesondere im Vergleich zum Nichtarbeiten. Schon bei der Diskussion über die sogenannte Kindergrundsicherung habe ich darauf hingewiesen, dass wir das Niveau sozialer Absicherung in Deutschland nicht weiter erhöhen dürfen. Die Probleme liegen woanders, nämlich bei der mangelnden Integration in den Arbeitsmarkt. Da kommt Armut her und durch Arbeit wird Armut nachhaltig bekämpft und nicht durch immer höhere Transfers.

Und bezogen auf das Bürgergeld haben wir rechtliche Vorgaben des Verfassungsgerichts zu achten. Und dennoch ist es eine Tatsache, dass die gesetzliche Entscheidung zu einem Zeitpunkt getroffen wurde, als die Inflationserwartung noch wesentlich höher war, als die tatsächliche Inflation Anfang des Jahres sein wird. Wir sollten uns das genau ansehen.

Pioneer: Bei der Berechnung für die Grundsicherung hat man eine Inflationsrate von fast 10 Prozent unterstellt. Wir sind wieder bei einer Drei vorm Komma gelandet. Das muss doch Auswirkungen auf staatlichen Sozialleistungen haben?

SPD und Grüne und Teile der CDU sehen das anders als Gabor Steingart und Christian Lindner. Deshalb wird darüber diskutiert.

Pioneer: Was wird aus dem Dieselprivileg, also der staatlichen Subventionierung von Diesel, auch eine fast zweistellige Milliardensumme. Ein Gesetz aus dem Jahre 1939 – aus der Nazizeit – sorgt für dieses sogenannte Dieselprivileg. Ist das tabu?

Wir haben eine arbeitende Bevölkerung, eine Mittelschicht in Deutschland, qualifizierte Menschen also, die viele Steuern und Abgaben zahlen. Die zahlen, zahlen, zahlen.

Eine Infografik mit dem Titel: Deutscher Sozialstaat: Beiträge steigen

Beitragssätze der gesetzlichen Sozialversicherungen in Prozent des Bruttolohns 2022 und Lauterbachs Plan für 2023, in Prozent

Pioneer: Ich zähle mich auch dazu.

Deshalb möchte ich, wenn es um die Konsolidierung der Staatsfinanzen geht, erst mal woanders anfangen. 45 Prozent der Ausgaben des Bundes gehen in den Sozialbereich rein. Da sind sehr viele Standards über die letzten Jahre geschaffen worden. Wir haben viele Subventionen, die wir auch an die Industrie zahlen. Also, bevor ich die arbeitende Bevölkerung belaste – und dazu gehört auch der Dieselfahrer –, möchte ich erst einmal die anderen Dinge ausschöpfen. Das sehe ich als meinen politischen Auftrag: Staatsfinanzen in Ordnung bringen, Rekordinvestitionen erreichen, aber ohne der arbeitenden Mitte in diesem Land immer stärker in die Brieftasche zu greifen.

Eine Infografik mit dem Titel: Größter Posten: Arbeit und Soziales

Geplante Ausgaben im Bundeshaushalt 2024 nach Ressorts, in Prozent

Pioneer: Was halten Sie davon, die 10 Milliarden Ansiedlungshilfe für Intel in Magdeburg – ein US-Konzern, der in 2022 Milliardengewinne erwirtschaftete – wieder zu entziehen? Wäre das nicht eine schöne Einsparung?

Meine ordnungspolitischen Überzeugungen dazu sind bekannt. Aber getroffene Vereinbarungen, die rechtsverbindlich sind, werden eingehalten.

INTC Marktbericht © Google

Pioneer: Ein Teil Ihrer Mitglieder ist ungeduldig und hat eine Mitgliederbefragung durchgesetzt: Bleibt die FDP in der Ampel drin oder geht sie raus? Diese Aufmüpfigen sagen: Diese Koalition bringt für uns als Partei nichts oder zu wenig.

Es kann der FDP nicht besser gehen, wenn es dem Land schlechter geht. Wenn das Land erfolgreich ist, dann profitiert davon auch eine die Regierung tragende Partei. Deshalb ist mein Argument: FDP in der Regierung wirkt.

Pioneer: Ihr Beleg bitte?

Ich habe sogar drei. Erstens: 2021 hatten wir eine Schuldenquote von 69 Prozent. Im nächsten Jahr werden es 64 Prozent sein. Beleg Nummer zwei: Im Januar 2024 kommen weitere 15 Milliarden Euro Steuerentlastungen bei der Lohn- und Einkommensteuer und der Stromsteuer – also es wird erheblich entlastet. Und zum Dritten: Wir haben Rekordinvestitionen im Bundeshaushalt, in moderne Straßen, digitale Netze, die Schiene und Weiteres. Das ist eine andere Haushaltspolitik, als wir sie in den vergangenen Jahren hatten.

Pioneer: Das scheint Ihre aufmüpfigen Parteifreunde nicht zu überzeugen.

Ich frage diejenigen, die diese Mitgliederbefragung durchgesetzt haben: Was wäre eine andere Regierung ohne FDP? Das könnte nach Lage der Dinge ja nur eine Große Koalition sein. Und die letzte Große Koalition hat uns doch die vielen Probleme bei der Migration, die Vernachlässigung der Bundeswehr und den planwirtschaftlichen Klimaschutz überhaupt erst hinterlassen.

Pioneer: Der FDP-Vorsitzende und Finanzminister wird also nicht leichtfertig die Koalition aufs Spiel setzen. Und dennoch die Frage: Gibt es in Ihrem Kopf sowas wie eine rote Linie, wo Sie sagen: Bis hierher gehe ich persönlich – aber auf keinen Fall weiter?

Wenn wir gezwungen werden sollten, Dinge zu tun, von denen wir glauben, dass sie für das Land schlecht sind, dann werden wir da nicht mitgehen. Die Leitplanken für unsere Regierungsbeteiligung waren immer: Wir achten die Schuldenbremse, sprich der Schuldenstand in unserem Land muss sinken. Das tut er bisher und das muss auch weiter so sein. Und die andere Leitplanke ist: Die Steuern müssen sinken, die Belastung darf nicht steigen. Deshalb sind Steuererhöhungen ebenfalls ausgeschlossen. Das waren die Voraussetzungen dafür, dass diese Regierung gebildet wurde.

Pioneer: Das Verfassungsgericht hat die Ausgangslage verändert, sagen Ihre Partner. SPD-Chef Lars Klingbeil lässt nicht locker.

Ich sage das in aller Freundlichkeit, weil der SPD-Vorsitzende ja an diesem Wochenende die Frage aufgeworfen hat, ob man nicht doch Steuern erhöhen sollte. Da kann ich nur die freundliche Antwort geben: Das kann 2025 im nächsten Bundestagswahlkampf diskutiert werden. Da können SPD und Grüne, die CDU liebäugelt ja auch mit Steuererhöhungen, damit vor die Bürgerinnen und Bürger treten. Ich werde als FDP-Vorsitzender, wenn meine Partei das will, vor die Bürgerinnen und Bürger treten und sagen, wir haben die Steuern gesenkt und erhöhen müssen wir die Steuern auch nicht. Auch nicht nach 2025, weil der Staat soll einfach besser mit Geld umgehen, das er hat.

Pioneer: Das heißt: Es gibt in diesen beiden Punkten kein Wackeln?

So ist es.

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