Roman Ehrlich kenne ich vom Leipziger Literaturinstitut, wo wir beide die Schriftstellerei studiert haben. Seitdem hat er eine ganze Reihe von großartigen Büchern vorgelegt - Romane und andere Texte, denn nicht immer lassen sich Romans Arbeiten klar in eine Schublade einordnen.
So verwendet er gerne auch Fotos, die er in seine Texte einbaut, oder er geht von Anfang an eine Zusammenarbeit mit einem Fotografen ein, wie bei Das Theater des Krieges, einer Text-Bild-Arbeit über das Bundeswehr-Camp Marmal in Afghanistan.
Schriftsteller Roman Ehrlich © S. Fischer VerlageAuch sein aktueller Roman Videotime enthält Bildelemente, und er handelt von bewegten Bildern, nämlich von den vielen Filmen, die der Erzähler in seinem Leben geschaut und die ihn stark geprägt haben.
Das ist kein plot-lastiger Text und gewiss keine Genre-Literatur, aber es liest sich trotzdem genauso spannend, weil Roman immer wieder neue, aufregende Wahrnehmungen und Blickwinkel einfängt, die geradezu bewusstseinserweiternd wirken.
Wenn man sich mit Roman unterhält, gerät man schnell auf philosophische Bahnen, denn er ist ein ruhiger, präziser Denker, der nichts unerfasst an sich vorüberziehen lässt. Er kann anschaulich und immer zutiefst ehrlich aus der eigenen Werkstatt erzählen, er hat ein Einfühlungsvermögen und eine ständige Wahrnehmungsbereitschaft, die man nur bei wenigen Menschen findet.
Eine Videothek im Juni 1999 © ImagoIch bin in einer bayerischen Kleinstadt aufgewachsen, in relativer Ereignislosigkeit.
Die Videothek war für mich ein Ort, von dem eine Versprechung ausgegangen ist, dass es noch eine andere Welt gibt. Eine reichere, ereignisreiche, aufregende Welt.
Das Gespräch mit ihm hat Spaß gemacht und war ein großer Gewinn - ich habe Roman noch einmal ganz neu kennen gelernt.
Der Roman Videotime von Roman Ehrlich ist ein ungewöhnliches Projekt. Der Erzähler streift durch die Kleinstadt seiner Kindheit und erinnert sich dabei vor allem an Filme, die er auf VHS-Kassetten allein oder zusammen mit seinem Bruder geschaut hat. Von der unendlichen Geschichte über Universal Soldier bis zu Natural Born Killers. Auf den ersten Blick könnte man sich fragen, warum man lesen soll, was ein anderer über vor langer Zeit geguckte Filme denkt. Zum Teil auch solche, die man selbst als Leser vielleicht gar nicht kennt. Die Antwort ist einfach: weil das einen genialen Text ergibt.
Zum einen ist Roman ein versierter Sprachkünstler, der aus Worten im Handumdrehenden Welten erschafft, leise, poetisch und dann plötzlich mit wuchtiger Durchschlagskraft.
Zum anderen merkt man, je länger man liest, dass die Erinnerungen an geschaute Filme und das Erinnern der eigenen Biografie auf raffinierte Weise miteinander verwoben sind, nicht nur in Videotime, sondern im Leben jedes einzelnen Menschen überhaupt.
Das liegt wohl daran, dass uns Filme, Bücher oder andere Kunstwerke ebenso stark prägen können wie ein Erlebnis in der äußeren Welt. Es liegt aber wohl vor allem daran, und davon handelt Videotime in seiner Tiefenstruktur, dass Erinnern nichts weiter ist als eine gigantische, selbst erzählte Geschichte, die alles erfasst, was jemals unser Bewusstsein kreuzte. Träume, Filme, Erzählungen von anderen, genauso wie Erfahrungen in der sogenannten Realität.
Das klingt vielleicht nach schwerer Kost, ist es aber nicht. Roman Ehrlichs Text streift große Fragen mit leichter Hand, lädt den Leser mit kleinen Gesten ein, ihm zu folgen. Und wer sich darauf einlässt, erlebt eine literarische und philosophische Reise, die eigentlich nur um eine alte Videothek herumführt und die den Leser trotzdem massiv bereichert zurückkehren lässt.
Mein nächster Gast ist Burkhard Spinnen, bekannt als produktiver Roman-Autor und als langjähriges Mitglied in der Jury des berühmten Klagenfurter Literaturpreises. Auch zu ihm habe ich eine persönliche Beziehung, und auch diese begann in der gemeinsamen Zeit am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig.
Ich freue mich, mit Burkhard über seinen neuen Roman Erdrutsch sprechen zu können - ein spannender und politisch hochaktueller Klima-Thriller.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.
Ihre