{"data":{},"content":[{"data":{},"content":[{"data":{},"marks":[{"type":"bold"}],"value":"The Pioneer: Frau Dorn, sind Sie eigentlich gern Frau?","nodeType":"text"}],"nodeType":"paragraph"},{"data":{},"content":[{"data":{},"marks":[{"type":"bold"}],"value":"Thea Dorn:","nodeType":"text"},{"data":{},"marks":[],"value":" Das ist gleich eine richtig schwierige Frage zum Einstieg. Ja und nein – das schwankt auch in verschiedenen Lebensabschnitten. Oder ich muss anders anfangen: Ich glaube, ich hatte sehr lange überhaupt kein Bewusstsein dafür, dass ich eine Frau bin. Ich bin die ältere Schwester, wurde aber nicht „als Mädchen“ erzogen. Ich durfte wild sein, musste nicht extra höflich sein, habe zwar Puppen gehabt, aber nicht exzessiv mit ihnen gespielt. Auch als mein Bruder – vier Jahre jünger – zur Welt kam, war für mich nicht plötzlich klar: Ich bin das Mädchen und er ist der Junge.","nodeType":"text"}],"nodeType":"paragraph"},{"data":{},"content":[{"data":{},"marks":[],"value":"Die zentrale Kategorie bei uns daheim war Leistung. Und das ist ja, wenn man so will, eine geschlechtsneutrale Kategorie – oder vielleicht sogar eine eher männlich konnotierte. Irgendwann kam dann die Zeit, in der ich dachte: Jungs sind eher sonderbar. Gut, dass ich nicht permanent testosterongesteuert bin. So schick hätte ich das damals natürlich nicht formulieren können, aber ich ahnte, dass es etwas in dieser Art sein muss.","nodeType":"text"}],"nodeType":"paragraph"},{"data":{},"content":[{"data":{},"marks":[],"value":"Es gab Phasen in meinem Leben, in denen ich vor allem, in denen ich vor allem mit Männern zu tun hatte, dann wieder Phasen, in denen es fast ausschließlich Frauen waren. Eine ganz entscheidende Phase war der Einstieg ins Studium und Berufsleben. Ich bin mir sicher, dass ich heute nicht hier säße, hätte ich nicht bei einer Philosophieprofessorin studiert.","nodeType":"text"}],"nodeType":"paragraph"},{"data":{},"content":[{"data":{},"marks":[{"type":"bold"}],"value":"Wieso?","nodeType":"text"}],"nodeType":"paragraph"},{"data":{},"content":[{"data":{},"marks":[],"value":"Weil das damals – ich habe in Frankfurt, Wien und vor allem in Berlin an der FU Philosophie studiert, in den 90ern – ein sehr männerdominiertes Fach war. Die klassische Erfahrung im Seminar: Ich sagte etwas, der Professor überging es, zehn Minuten später sagte ein männlicher Kommilitone fast dasselbe – und plötzlich war es ein hochinteressanter Beitrag. Erst dachte ich: Liegt das an mir? An meiner Stimme, meiner Ausdrucksweise?","nodeType":"text"}],"nodeType":"paragraph"},{"data":{},"content":[{"data":{},"marks":[],"value":"Bis ich bei Ursula Wolf studierte. Sie war überhaupt nicht feministisch vom Programm her – in ihren Seminaren ging es um Aristoteles, Platon, John Stuart Mill, um moralische Dilemmata, Pflicht- versus Verantwortungsethik, große klassische Themen. Aber es herrschte dort ein anderer Ton, eine andere Atmosphäre: Die Wortführerinnen waren Frauen, männliche Studenten wurden schonungslos kritisiert, wenn sie Unsinn redeten. Und auf einmal fing das Studium an, mir Spaß zu machen.","nodeType":"text"}],"nodeType":"paragraph"},{"data":{"target":{"metadata":{"tags":[],"concepts":[]},"sys":{"id":"5FbWAFP3qbMsliQBSiw5MM","type":"Entry","createdAt":"2025-08-22T13:52:40.214Z","updatedAt":"2025-08-22T13:52:40.214Z","publishedVersion":5,"revision":1,"contentType":{"sys":{"type":"Link","linkType":"ContentType","id":"imageWithMeta"}},"locale":"de"},"fields":{"id":"SW1hZ2VXaXRoTWV0YS01RmJXQUZQM3FiTXNsaVFCU2l3NU1NX19fMzIzMjE3ZjY0M2MzZTNmMWZlNzUzMmU3MmFjMDFiYjA3NDhjOTdiZQ","url":"//image-service.thepioneer.de/show/mj324dykhxwi/QiXpZ8WoCwFM0Ky24EZc2/1a35f2ad8582f00a9c6d536a3987fb92/imago160875177.jpg","preview":"","width":4724,"height":3149,"assetId":"QiXpZ8WoCwFM0Ky24EZc2","link":null,"copyright":"Imago","title":"thea dorn","caption":"Autorin Thea Dorn","description":"","alt":"Autorin Thea Dorn","fileSize":635228,"contentType":"image/jpeg"}}},"content":[],"nodeType":"embedded-entry-block"},{"data":{},"content":[{"data":{},"marks":[{"type":"bold"}],"value":"Sie sagten, dass Sie sich als Kind gar nicht bewusst gemacht haben, ein Mädchen zu sein. Woran lag das?","nodeType":"text"}],"nodeType":"paragraph"},{"data":{},"content":[{"data":{},"marks":[],"value":"Landläufig gesagt: weil meine Mutter die Hosen anhatte. Wenn man in einem Haushalt aufwächst, in dem die Frau der Chef ist, verschwimmen die Geschlechterrollen. Wenn ich Trost brauchte, bin ich zu meinem Vater gegangen, weil meine Mutter die Strenge war. Fürs Ausheulen war er zuständig. Wahrscheinlich kann man keine typischen Geschlechterstereotype entwickeln, wenn das Zuhause so ambivalent geprägt ist.","nodeType":"text"}],"nodeType":"paragraph"},{"data":{},"content":[{"data":{},"marks":[{"type":"bold"}],"value":"Neben der Studienzeit – gab es andere Situationen, in denen Ihnen Ihr Frausein besonders bewusst wurde?","nodeType":"text"}],"nodeType":"paragraph"},{"data":{},"content":[{"data":{},"marks":[],"value":"Mein erstes Buch galt als krass, gewalttätig, blutrünstig – Attribute, die man traditionell männlichen Autoren zuschrieb. Aber es war eben von einer Frau geschrieben und hatte eine weibliche Hauptfigur.","nodeType":"text"}],"nodeType":"paragraph"},{"data":{},"content":[{"data":{},"marks":[],"value":"Das führte zu Irritationen. 1994 hieß es in einer Rezension, ich solle mich am besten in psychiatrische Behandlung begeben, eine Frau, die so etwas Gewalttätiges schreibe, müsse ein Riesenproblem haben. Und auch hier wieder war eine Frau ganz wichtig: Meine Lektorin, Gaby Dietze, die mein Manuskript entdeckte, mich betreute und mir regelmäßig versicherte, dass mit mir alles in Ordnung sei.","nodeType":"text"}],"nodeType":"paragraph"},{"data":{},"content":[{"data":{},"marks":[],"value":"Außerdem entstand in den 90ern ein Kreis deutscher Krimiautorinnen – mit Schriftstellerinnen wie Ingrid Noll und Doris Gercke, die leider gerade verstorben ist. Diese älteren Kolleginnen haben mich als junge Autorin unter ihre Fittiche genommen. Das war schon sowas wie ein Frauennetzwerk. ","nodeType":"text"}],"nodeType":"paragraph"},{"data":{},"content":[{"data":{},"marks":[{"type":"bold"}],"value":"Und Sie meinen, dass das vielleicht tatsächlich eine im Berufsleben eher weibliche Eigenschaft ist – dieses, was Sie beschrieben haben, die Solidarität unter den Schriftstellerinnen mitten in einer Szene mit vor allem männlichen Schriftstellern?","nodeType":"text"}],"nodeType":"paragraph"},{"data":{},"content":[{"data":{},"marks":[],"value":"Na, es gibt auch das komplette Gegenteil. Solche, die es als Einzelkämpferinnen – ich will jetzt bewusst keine Namen nennen, aber mir fallen einige ein – ältere Kolleginnen, die einen sehr, sehr harten Weg gegangen sind – solche jedenfalls, die es geschafft haben, sich als Einzelkämpferin in dieser Männerwelt der 70er-, 80er- und eben auch noch der 90er-Jahre durchzusetzen: Die haben mir als jüngerer Kolleginnen erst mal die Tür ins Gesicht gehauen. Nach dem Motto: Ich lass mir doch meinen mühsam erkämpften Platz von dir nicht streitig machen.","nodeType":"text"}],"nodeType":"paragraph"},{"data":{},"content":[{"data":{},"marks":[{"type":"bold"}],"value":"Und dann auch eher den jungen Frauen als überhaupt jüngeren Kollegen?","nodeType":"text"}],"nodeType":"paragraph"},{"data":{},"content":[{"data":{},"marks":[],"value":"Ja, ich erinnere mich an legendäre Abende, an denen Männer so mittellustige Männerwitze rissen und ich mal sagte: Aber Junge, das ist nicht lustig. Und am lautesten zurechtgewiesen wurde ich von einer Frau, die meinte, ich solle mal nicht so verklemmt sein. Deshalb: Ich halte es wirklich für ein grobes Gerücht, dass Frauen per se – oder sollen wir etwa sagen: von Natur aus – zu so einer Solidarität neigen würden. Umgekehrt ist es auch ein Gerücht, dass Frauen von Natur aus stutenbissig seien. Das ist auch Quatsch. Dieses ganze „von Natur aus“ ist eh heikel; ich glaube, es hat etwas mit Personen zu tun, nicht mit dem Geschlecht.","nodeType":"text"}],"nodeType":"paragraph"},{"data":{},"content":[{"data":{},"marks":[{"type":"bold"}],"value":"Klar, es wäre vielleicht weniger natürlich, als sozial gewachsen – durch Umstände, in denen Frauen sich in einer Männerwelt emanzipieren mussten. ","nodeType":"text"}],"nodeType":"paragraph"},{"data":{},"content":[{"data":{},"marks":[],"value":"Genau. Und ich kann mir vorstellen – das sehe ich jetzt, wo ich selbst älter bin, anders: Die Kolleginnen, über die ich damals den Kopf geschüttelt habe, weil sie mir eher die Türen ins Gesicht gehauen haben – vermutlich haben die ihrerseits nie die Erfahrung gemacht, die für mich in den 90ern so wichtig war: dass es Frauensolidarität wirklich gibt, dass sie etwas Tolles ist und etwas bringt. Wenn man immer nur die Einzelkämpferin war, woher soll dann die Erfahrung kommen, dass man eine jüngere Frau, die nachdrängt, nicht als Bedrohung empfindet, sondern denkt: „Hurra, da kommt was nach!“?","nodeType":"text"}],"nodeType":"paragraph"},{"data":{},"content":[{"data":{},"marks":[],"value":"Das ist dann auch eine bewusste Entscheidung von mir. Ein Beispiel: Beim Literarischen Quartett machen wir seit einigen Jahren einmal im Jahr eine Sonderausgabe U21 mit Schülern oder jungen Studenten. Im vergangenen Herbst saßen da zum ersten Mal drei Schülerinnen. Das war keine ideologische Entscheidung – die drei sind einfach die besten Bewerber gewesen. Aber ich merkte: Auch wenn’s nicht ideologisch geplant war, habe ich mich darüber gefreut, dass es zwischendurch mal eine reine Frauenrunde gab.","nodeType":"text"}],"nodeType":"paragraph"},{"data":{},"content":[{"data":{},"marks":[{"type":"bold"}],"value":"Also nochmal zu meiner Anfangsfrage: Wenn Sie nochmal wählen dürften, als Mann oder Frau auf die Welt zukommen, würden Sie sich noch mal dafür entscheiden?","nodeType":"text"}],"nodeType":"paragraph"},{"data":{},"content":[{"data":{},"marks":[],"value":"Das müssen Sie mich im übernächsten Leben fragen, – im nächsten Leben würde ich schon einmal den Mann ausprobieren, um einen Vergleich zu haben.","nodeType":"text"}],"nodeType":"paragraph"},{"data":{},"content":[{"data":{},"marks":[{"type":"bold"}],"value":"Okay, ich komme dann nochmal im übernächsten Leben auf Sie zu. Wir wollen heute über Frausein und Konservatismus sprechen – da kommen wir um den Begriff „Weiblichkeit“ nicht herum. Frau Dorn, was bedeutet „Weiblichkeit” im 21. Jahrhundert – auch in Abgrenzung zum Begriff „Frausein”?","nodeType":"text"}],"nodeType":"paragraph"}],"nodeType":"document"}