Peter Neumann ist Professor für Security Studies am King's College in London und Experte für den islamistischen Terrorismus. Fünf Fragen und fünf Antworten zur Verfassung der Hamas und deren Rolle in der weiteren Umsetzung von Donald Trumps Friedensplan für Nahost.
Pioneer: Wir sprechen immer von „der Hamas“. Wie einheitlich, wie straff ist diese Terrororganisation überhaupt aufgestellt?
Neumann: Vor etwa zwei Jahren noch war sie sehr straff organisiert. Das hat sich in den letzten zwei Jahren natürlich geändert. Viele der Kommandostrukturen wurden zerstört und viele Experten sprechen heute von der Hamas als einer viel loseren, manche sogar von einer völlig neuen, anderen Organisation, die sich mehr wie ein Netzwerk organisiert und bei der es nicht klar ist, wer momentan das Sagen hat.
Pioneer: Vor diesem Hintergrund: Wie verbindlich ist das, was die Hamas-Vertreter in Katar in Sachen Friedensplan verhandelt haben?
Neumann: Die Frage bei diesen Leuten, die da in Doha sitzen, die zum Teil ja seit Jahren schon nicht mehr im Gazastreifen waren, ist: wieviel Einfluss haben sie tatsächlich über die Fußsoldaten, die in Gaza sind?
Pioneer: Wie tief verwurzelt ist das Gedankengut der Hamas in der Bevölkerung im Gaza? Bedeutet eine militärisch besiegte Hamas tatsächlich auch das Ende der Idee der Hamas?
Nicht unbedingt. Man muss sich immer vor Augen halten, dass diese Organisation nicht nur eine Terrororganisation ist, sondern auch ganz anderen Aktivitäten nachgeht, mit denen sie sich in der Vergangenheit auch in der Bevölkerung einen gewissen Rückhalt erarbeitet hat. Sie ist auch eine politische Organisation, sie hat bei Wahlen kandidiert und diese auch gewonnen.
Nahostexperte Peter Neumann bei Sandra Maischberger, 17.09.2025 © ImagoSie ist eine religiöse Organisation, die palästinensische Filiale des globalen Netzwerks der Muslimbrüderschaft und sie hat in Gazastreifen jahrelang auch eine gewisse Wohlfahrtsfunktion gehabt, so absurd das klingen mag. Sie hat Kindergärten betrieben, Krankenhäuser, Schulen und so weiter. Deswegen haben die islamistischen Ideen der Hamas in der Bevölkerung im Gazastreifen auch Rückhalt.
Pioneer: Warum sehen Sie in der Entwaffnung der Hamas die größte unmittelbare Herausforderung für den Friedensplan?
Neumann: Wir haben in den letzten ein oder zwei Tagen bereits gehört, dass es viele bei der Hamas gibt – auch Leute in führenden Positionen – die sagen: ,wir sind zu dieser Entwaffnung eigentlich überhaupt nicht bereit, obwohl das im Friedensplan drin steht und obwohl wir diesen Friedensplan im Großen und Ganzen gut geheißen haben‘.
Rückkehr des palästinensischen Häftlings Ali Abu Abli in Gaza, 13.10.2025 © ImagoPioneer: Die Hamas hat ihr letztes Faustpfand, nämlich die israelischen Geiseln, unter großem Druck aus der Hand gegeben. Wie schafft sie es, dass dieser Schritt von ihren eigenen Anhängern nicht als Niederlage gesehen wird?
Neumann: Die Hamas spricht gegenüber ihren eigenen Anhängern von einem „Sieg des Widerstandes“. Sie rechtfertigt das damit, dass sie sagt: ,wir haben zwar diese 20 Geiseln freigelassen, aber im Gegenzug dafür bekommen wir 2000 Palästinenser zurück, darunter 250 unserer Kämpfer, die Israel freilässt – also auch Israel musste einige Kröten schlucken‘. Dazu kommt natürlich, dass sich Israel aus Teilen des Gazastreifens zurückzieht. So versuchen sie das, was aktuell geschieht, den eigenen Anhängern zu verkaufen.