Top-Ökonom Bernd Raffelhüschen zur Rente

„Heil offenbart seine Verachtung für junge Leute“

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 © imago / Metodi Popow

Bernd Raffelhüschen ist Direktor des Forschungszentrums Generationenverträge an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Experte für Sozialpolitik. Der Top-Ökonom spricht mit uns über die Rentenreform, die Aktienrente, den Kollaps des Sozialsystems und die Rolle der SPD.

Am Dienstag haben Hubertus Heil und Christian Lindner das neue Rentenpaket vorgestellt – sind unsere Renten jetzt sicher?

Nein. Wir haben schlichtweg beschlossen, dass wir auf jeden Fall die Leistungen für die Rentner halten – koste es, was es wolle. Und eine Entlastung für diejenigen, die das zu bezahlen haben, nämlich die Beitragszahler und Steuerzahler, ist überhaupt nicht vorgesehen.

Sehen Sie denn trotzdem auch positive Punkte bei der Reform, die am Dienstag angekündigt wurde?

Da muss man tatsächlich sagen, es gibt nicht einen positiven Punkt: Die Rentner haben gegen die junge Generation gewonnen.

Die Schweiz hat vergangene Woche über eine dreizehnte Rente abgestimmt, da war offen ausgesprochen: Wir – die Rentner – wollen, dass die Jungen für uns mehr zahlen. Hubertus Heil macht exakt dasselbe, allerdings ohne Abstimmung. Denn er sagt: Das Rentenniveau bleibt in jedem Fall – und die demographischen Belastungen, die definitiv kommen und von denen er auch weiß, muss dann die junge Generation zahlen.

Das ist natürlich absolut gegen das Prinzip der Verursachergerechtigkeit. Denn der Verursacher dieses Rentenproblems, das sich in den kommenden Jahren noch deutlich weiter zuspitzen wird, sind ja nicht die Jungen, sondern die Alten. Die haben zu wenig Beitragszahler in die Welt gesetzt, so dass man jetzt den Verursacher schlichtweg belohnt für das, was er verursacht hat an Problemen.

Eine Infografik mit dem Titel: Rentensystem unter Druck

Verhältnis eines Rentners zur Anzahl der Beitragszahler in der gesetzlichen Rentenversicherung

Allein in den nächsten Jahren sollen die Beitragssätze bis auf 22,3 Prozent steigen. Was bedeutet das für die junge Generation dann vor allem?

Das bedeutet einerseits, dass die junge Generation höhere Beiträge zahlen muss. Zwischen den Zeilen heißt das aber auch, dass die junge Generation als Steuerzahler noch mal obendrauf zahlen muss, denn das Geld wird nicht reichen. Wir brauchen dann wieder unglaublich große Bundeszuschüsse, die wir refinanzieren müssen. Entweder über Schuldaufnahme, das kostet auch die Steuern der jungen Generation der Zukunft, oder über direkte Steuererhöhungen.

Ich nehme an, die Ampel hat Sie nicht um Beratung gebeten…

Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) © imagoNein, überhaupt nicht. Die Ampel macht ja genau das Gegenteil von dem, was wir als Ökonomen immer fordern. Das von der Regierung durchgesetzte Leistungsprimat hält die Leistung konstant und bestraft die junge Generation, also die, die das Problem nicht verursacht haben. Heil offenbart so seine Verachtung vor jungen Leuten.

Die notwendige Alternative wäre das Beitragsprimat, also dass wir die Beiträge konstant halten und die Leistungen anpassen, so wie wir es mit der Agenda 2010 beschlossen haben. Denn das ist der Nachhaltigkeitsfaktor, den Hubertus Heil aussetzt. Wenn wir den behalten und weiterhin auch gestärkt hätten, dann wären die Beiträge konstant geblieben und das Rentenniveau wäre nach unten gegangen. Das würde die Verursacher des Problems bestrafen und nicht die am Problem unverschuldete junge Generation.

Wann ist Deutschland dabei denn falsch abgebogen?

Im Grunde genommen hatten wir mit der rot-grünen Regierung unter Schröder und seinem Nachhaltigkeitsfaktor und dann mit Merkels 67er-Regelung schon den richtigen Weg beschritten.

Dieser Weg wurde dann total zurückgedreht und insofern haben wir all das, was wir zuvor richtig gemacht haben, wieder niedergerissen. Denn wir haben die Rente mit 67 mit abschlagsfreien Renten bei 63, 64 und 65. Wir haben den Nachhaltigkeitsfaktor ausgesetzt und damit die Leistungs-Primats-Ägide eingeleitet, die Hubertus Heil will.

Und dann gibt es natürlich noch die Kosmetik an der ganzen Geschichte und das ist das Aktien-Rentenkonzept, das im Prinzip semantisch so ein bisschen an die norwegische Lösung erinnert, aber damit eigentlich gar nichts zu tun hat.

Was kritisieren Sie konkret an dem System der deutschen Aktienrente von Christian Lindner?

Die Aktienrente nach schwedischem Vorbild in Deutschland wäre nicht dumm, wenn man das in den 90er Jahren gemacht hätte. Da hat man in Schweden die Renten gekürzt, um dann eine Aktienrente für die Jungen aufzubauen. Man hat also den Alten gesagt: Ihr müsst leider die demografische Last schultern und das muss zur Entlastung der Jungen führen. Wir in Deutschland machen das ja gerade nicht.

Finanzminister Christian Lindner © dpaWir kommen erstens viel zu spät, dann wollen wir jetzt ein Aktienpaket aufbauen durch Schuldaufnahme. Wir nehmen also Schulden auf und investieren das dann in Aktien. Das haben wir 1929 schon mal erlebt, dass Hausfrauen in Amerika Schulden aufgenommen haben, um Aktien zu kaufen. Und es ging natürlich voll in die Hose.

Außerdem – und das ist wirklich VWL-Erstsemester-Stoff – weiß man, dass eine vernünftige Kapitaldeckung 25 bis 30 Jahre dauert, so wie die Norweger, die Schweden usw. und sofort das kalkuliert haben. Wir wollen das innerhalb von zehn Jahren wirksam machen lassen – das ist schlichtweg unmöglich, fahrlässig und zwar grob fahrlässig.

Und der Finanzminister versteht das nicht?

Herr Lindner versteht das. Er will ein Symbol setzen mit der Aktienrente. Und dieses Symbol Aktienrente ist für die jungen Menschen ein gutes Symbol. Denn die Alten haben es ja verpasst. Wer in meiner Generation der Babyboomer heute keine Aktien hat, der war früher doof. Und das betrifft tatsächlich mehr als 90 Prozent der Menschen in meiner Generation.

Meinen Sie denn, ein richtiger Wechsel in die kapitalgedeckte Rente wäre auch in Deutschland noch möglich?

Für die Jungen ja, aber die sollten das lieber selber tun. Die sollten das Geld nicht dem Staat geben, der passt nicht gut drauf auf. Für die Jungen lohnt eine Kapitaldeckung. Denn die haben ja 30 Jahre Zeit auch zu warten.

Für die Babyboomer kommt jede Kapitaldeckung zu spät. Wir haben das Ende der 80er Jahre in Deutschland das erste Mal gefordert. Wir haben es vehement dann versucht, in den 2000ern entsprechend zu platzieren. Halbherzig mit der Riester Rente und der Rürup Rente kamen kleine Schritte, aber das war schon mal der richtige Weg.

Wer von denen, die heute 60, 70, 80 sind, hat 30 Jahre Zeit, um eine ausgereifte Kapitaldeckung abzuwarten. Wenn der Patient garantiert gestorben ist, macht es keinen Sinn, ein Medikament zu verabreichen.

Wie kann man sich denn in der aktuellen Situation das deutsche Rentensystem in 20 Jahren vorstellen?

Wir werden massive Probleme haben, Beitragszahler zu finden. Denn wer kann, wird dieses System verlassen. Wir werden einen massiven Wechsel in die Selbstständigkeit haben. Wir werden eine massive Abwanderung von gut Situierten und Höchstverdienern haben, denn die werden dieses System nicht mittragen, wenn Hubertus Heil sich auf Dauer durchsetzt.

Wenn die Beiträge der Rentenversicherung bei 23 Prozent, wenn wir die Steuerlast dazurechnen, eher bei 25 Prozent liegt und dann gleichzeitig die Pflegeversicherung sechs, sieben Prozentpunkte braucht und die Krankenversicherung bei 22 und 23 ist, dann muten wir unseren Kindern zu, dass sie 50, 55, vielleicht sogar bis zu 60 Prozent ihres Einkommens an die Alten und die Kranken abgeben.

Wenn wir dann den Jungen noch auf die Schultern klopfen und sagen, ein Drittel Steuern brauchen wir auch noch von euch, dann sehen die Jungen, dass ihnen gar nichts anderes übrig bleibt, als die Generationenverträge zu kündigen.

Die Akzeptanz der Generationenverträge steht auf dem Spiel. Und das ist das, was Hubertus Heil in all dem Unheil, das er verbreitet, schlichtweg verspielt.

Warum macht Arbeitsminister Heil das dann?

SPD-Logo auf dem Bundesparteitag © IMAGO / IPONDas ist reiner Populismus. Er weiß, dass die Wählermehrheit bei ihm ist. Er will die SPD zu einer Partei der Rentner und Transferempfänger umbauen – und das hat er auch schon getan. Dadurch hat er ja auch Stimmen gewonnen für die SPD. Aber die SPD ist keine Partei der Erwerbspersonen mehr.

Und die Große Koalition war da nicht besser als die Ampel. Die Folgen von der Großen Koalition und der Ampel waren in dem Deal immer ein Durchsetzen der Sozialdemokraten hinsichtlich der Bedienung der Alten, der Rentner, der Kranken – mit Wahlkampfgeschenken.

Und was braucht es dann konkret, um das Ruder noch rumzureißen?

Wir müssen so schnell wie möglich dieses Unheil von Heil revidieren. Politökonomisch haben wir aber das Problem, dass die Alten die Mehrheit sind. Wir sind beim Medianwähler von über 55 Jahren inzwischen – die Alten stellen die Mehrheit.

Aber, und das ist die einzige Hoffnung, die ich wirklich habe: Es gibt Menschen, die haben Kinder und die wissen, dass sie ihren Kindern einiges zumuten von dem, was die kinderlosen Kollegen von ihren Kindern haben wollen.

Das heißt, die Koalition der kinderhabenden Babyboomer mit der jungen Generation ist die einzige Möglichkeit, politökonomisch eine Mehrheit zu schaffen und damit die Akzeptanz der Generationenverträge wiederherzustellen.

Meinen Sie, man bekommt den Staat trotz der Höhe der Sozialausgaben noch verschlankt?

Wir haben in Deutschland relativ zur Wertschöpfung die höchsten Steuereinnahmen, die höchsten Sozialausgaben, die niedrigsten Investitionsausgaben und die höchsten Subventionsausgaben – und das alles müssen wir umbauen. Weniger konsumtive und mehr investive Ausgaben.

Wir brauchen Luft und die Luft kann nur kommen, indem wir den Sozialstaat wieder auf ein Niveau zurückführen, dass wir vielleicht in den 70er, 80er Jahren gehabt haben, wo wir auch schon ein Sozialstaat waren und die Alten und die Armen abgesichert waren.

Haben Sie noch Hoffnung?

Ich habe tatsächlich noch Hoffnung: Ich glaube, dass jungen Menschen und Babyboomern mit Kindern immer häufiger klar wird, welche überzogenen Forderungen die kinderlosen Rentner stellen. Wenn diese Menschen dabei irgendwann nicht mehr mitmachen, dann könnte das funktionieren.

Aber das muss natürlich in die Köpfe der Parteien getragen werden und derzeit weiß ich nicht, welche Partei das umsetzen kann. Das heißt, man muss eine Mehrheit schaffen, damit die Parteien sich nach dieser Mehrheit ausrichten können.

Was würden Sie heute einem 18-Jährigen empfehlen, der jetzt die Schule verlässt und das ganze System in höchstem Maße mittragen muss?

Ich weiß nur, was ich hier in Freiburg beobachte. Die Abwanderung in die Schweiz ist so massiv und es betrifft sogar meine eigene Familie. Wer hier bleibt, sollte versuchen, politisch wirksam zu werden und darauf zu pochen, dass die Beiträge in der Kranken- wie auch Pflege- und Rentenversicherung so bleiben, wie sie sind.

Denn er kann darauf verweisen, dass sein Vater, seine Mutter und auch sein Großvater, seine Großmutter immer ein Fünftel für die Rente bezahlt hat. Und wenn wir dann von den Jungen verlangen, dass sie deutlich mehr als das zahlen, dann ist das ungerecht. Dann ist das ungleich und nicht nachhaltig.

Das Gespräch führte Michael Graf von Bassewitz.