Die Lage der Industrie und der gesamten Wirtschaft Deutschlands ist nach mehreren Jahren der Rezession an einem Tiefpunkt angelangt. Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer, Oliver Zander, sagt The Pioneer in diesem Zusammenhang:
Deutschland steckt in der längsten Wirtschaftskrise seit Gründung der Bundesrepublik.
Der Standort habe ein massives Kostenproblem bei Energie, Steuern und Sozialabgaben sowie zusätzlich durch die irrwitzige Bürokratie. Hinzu kämen, so Zander weiter, die weltwirtschaftlichen Belastungen für die deutsche Exportindustrie, zum Beispiel durch die US-Zollpolitik.
Die Folge: Arbeitsmarktpolitische Einschläge dieser Wirtschaftskrise erfolgen nun weitaus frequentierter.
Die Industrie verliert immer mehr Jobs. Das geht aus dem jüngsten Arbeitsmarkt Bericht (Juli) der Bundesagentur für Arbeit hervor. Die konkreten Zahlen (Zahlen für Mai):
Minus 146.000 Jobs zum Vorjahr im Verarbeitenden Gewerbe.
Davon 109.000 in der Metall-, Elektro- und Stahlindustrie.
Weitere 18.000 Jobs fallen im Baugewerbe weg.
In der Arbeitnehmerüberlassung (Zeitarbeit), wovon die meisten auch in der Industrie arbeiten, sind es nochmal 63.000 Jobs weniger.
Macht 227.000 Jobs weniger als noch im Vorjahr. Zum Vergleich: Das entspricht der Einwohnerzahl von Mainz.
Während es in der Industrie bergab geht, geht es für den Staat und staatsnahe Bereiche hoch. Dort werden Jobs aufgebaut. In der Verwaltung kommen 43.000 Jobs hinzu, im Bereich Pflege und Soziales sogar 70.000 Stellen.
Eine Infografik mit dem Titel: Die Industrie verliert immer mehr Jobs
Sozialversicherungspflichtige Jobs nach Wirtschaftszweigen, in Tausend gegenüber dem Vorjahr, Zahlen für Mai 2025
Große Sorge und Empörung: Die neuen Zahlen der Bundesagentur erregen große Kritik an der aktuellen Wirtschaftspolitik. Oliver Zander zu The Pioneer:
Ohne massive Reformen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit wird sich die Deindustrialisierung leider weiter fortsetzen.
Die Zahlen zeigten die Deindustrialisierung eindrücklich, so Zander: „Allein in der Metall- und Elektro-Industrie haben wir seit September 2019 rund 240.000 Arbeitsplätze verloren. Mit jedem M+E-Arbeitsplatz verliert Deutschland über 100.000 Euro an Wirtschaftskraft, das sind fast 25 Milliarden Euro.“
Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander © ImagoMit Blick auf den Jobzuwachs im staatsnahen Bereich warnt er vor der zukünftigen Finanzierbarkeit des Sozialstaates:
„Der Beschäftigungsaufbau im Gesundheits- und Pflegebereich und in der öffentlichen Verwaltung sind kein Ersatz für die weggefallenen Industriearbeitsplätze, denn nur mit der Industrie lassen sich der Sozialstaat und die öffentliche Verwaltung finanzieren. Auch die Bundesregierung weiß, dass es unverzüglich eine umfassende Reform des Sozialstaats braucht, um ihn erhalten zu können. Der Sozialstaat muss deutlich effizienter und effektiver werden. Er muss massiv sparen und auch Personal abbauen. Gleiches gilt für den öffentlichen Dienst insgesamt.“
Der Ökonom Christian Bayer (Uni Bonn) analysiert die Zahlen für The Pioneer:
„Zum Teil steht dahinter zwar nur ein forcierter Strukturwandel, nämlich der Trend zu mehr Dienstleistungen. Der Aufbau neuer Jobs findet jedoch vor allem im staatsnahen Bereich statt, nicht in in modernen wirtschaftsnahen Dienstleistungen. Inwiefern daraus eine selbsttragende Entwicklung wird, ist zumindest unklar.“
Der Ökonom Christian Bayer © Christian BayerUnd er sieht eine neue Geschlechter-Problematik aus der aktuellen Entwicklung erwachsen:
„Mit den Industriearbeitsplätzen fallen gut bezahlte Jobs weg, in denen viele Männer arbeiten, während die neuen Jobs in ‘weiblicheren’ Sektoren entstehen. Wenn man sich die politische Geschlechterpolarisierung anschaut, schwant einem nichts Gutes.“