Der Roman Videotime von Roman Ehrlich ist ein ungewöhnliches Projekt. Der Erzähler streift durch die Kleinstadt seiner Kindheit und erinnert sich dabei vor allem an Filme, die er auf VHS-Kassetten allein oder zusammen mit seinem Bruder geschaut hat. Von der unendlichen Geschichte über Universal Soldier bis zu Natural Born Killers. Auf den ersten Blick könnte man sich fragen, warum man lesen soll, was ein anderer über vor langer Zeit geguckte Filme denkt. Zum Teil auch solche, die man selbst als Leser vielleicht gar nicht kennt. Die Antwort ist einfach: weil das einen genialen Text ergibt.
Zum einen ist Roman ein versierter Sprachkünstler, der aus Worten im Handumdrehenden Welten erschafft, leise, poetisch und dann plötzlich mit wuchtiger Durchschlagskraft.
Zum anderen merkt man, je länger man liest, dass die Erinnerungen an geschaute Filme und das Erinnern der eigenen Biografie auf raffinierte Weise miteinander verwoben sind, nicht nur in Videotime, sondern im Leben jedes einzelnen Menschen überhaupt.
Das liegt wohl daran, dass uns Filme, Bücher oder andere Kunstwerke ebenso stark prägen können wie ein Erlebnis in der äußeren Welt. Es liegt aber wohl vor allem daran, und davon handelt Videotime in seiner Tiefenstruktur, dass Erinnern nichts weiter ist als eine gigantische, selbst erzählte Geschichte, die alles erfasst, was jemals unser Bewusstsein kreuzte. Träume, Filme, Erzählungen von anderen, genauso wie Erfahrungen in der sogenannten Realität.
Das klingt vielleicht nach schwerer Kost, ist es aber nicht. Roman Ehrlichs Text streift große Fragen mit leichter Hand, lädt den Leser mit kleinen Gesten ein, ihm zu folgen. Und wer sich darauf einlässt, erlebt eine literarische und philosophische Reise, die eigentlich nur um eine alte Videothek herumführt und die den Leser trotzdem massiv bereichert zurückkehren lässt.