Die Einstufung der gesamten AfD als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ durch den Verfassungsschutz wirft eine generelle politische Frage auf: Soll die Regierung die Möglichkeit haben, die Opposition mithilfe des Verfassungsschutzes auszuspionieren? Dazu sieben Punkte:
1) Sowas gibt es nur in Deutschland. In keiner anderen modernen liberalen Demokratie gibt es eine vergleichbare Institution wie den Verfassungsschutz. „In den USA, Großbritannien, Frankreich oder der Schweiz wäre es undenkbar, dass ein Inlandsgeheimdienst die eigenen Bürger und sogar die Opposition ganz offiziell ausspionieren darf“, sagte der Rechtswissenschaftler Volker Boehme-Neßler gegenüberThe Pioneer.
2) Verfassungsschutz-Beamte tragen Parteibuch: Die leitenden Beamten unterstehen den Innenministerien von Bund und Ländern. Sie können jederzeit versetzt oder in den Ruhestand geschickt werden. Während in Bayern unter CSU-Ägide die Linkspartei noch unter Beobachtung steht und in einzelnen Fällen eine Mitgliedschaft bei der Einstellung in den Staatsdienst für Bewerber zum Fallstrick wird, gilt sie in anderen Bundesländern als völlig unbedenklich.
Horst Seehofer © imago3) Der Verfassungsschutz wird vom Innenministerium beeinflusst. Der Jurist Ronen Steinke kommt in seinem vielbeachteten Werk „Verfassungsschutz – wie der Geheimdienst Politik macht” zu einem folgenschweren Schluss: Die Innenminister der Länder mischen sich ein. Bei der Einstufung der AfD als „rechtsextremer Verdachtsfall“ im Jahr 2021 pfuschte wohl CSU-Ex-Innenminister Horst Seehofer ins Gutachten, wie Steinke in seinem Buch beschreibt. Eine Äußerung von AfD-Politikern, die der Verfassungsschutz als „verfassungsfeindlich“ klassifizierte, war so auch von Seehofer selbst getätigt worden.
Boehme-Neßler findet, es sei „ein Skandal, dass eine solche weitreichende Bewertung noch kurz vor dem Regierungswechsel, quasi als letzte Amtshandlung von Frau Faeser, abgegeben wird“. Weiter:
Nancy Faeser tut das, was sie die ganze Amtszeit über schon gemacht hat, sie versucht, Andersdenkende einzuschüchtern.
4) Der Verfassungsschutz ist nur scheinbar neutral: Die Einstufung der AfD als eine gesichert rechtsextreme Partei gilt in der Öffentlichkeit wie eine Art amtliches Siegel, hieb- und stichfest durchdekliniert wie ein Gerichtsurteil. So beeinflusst der Verfassungsschutz den demokratischen Wettbewerb.
5) Der Verfassungsschutz kann antidemokratisch umfunktioniert werden: Die AfD verlor im vergangenen Jahr bereits mit einer Klage gegen die Einstufung als rechtsextremen Verdachtsfall. Im Prozess vor dem Oberverwaltungsgericht Münster sprach AfD-Anwalt Christian Conrad die Gefahr einer AfD-Einflussnahme selbst an. „Stellen Sie sich vor“, sagte er, „die AfD oder die Linkspartei wären an der Regierung und würden über die Besetzung des Verfassungsschutzes verfügen“. Die AfD müsste an der Macht keine Gesetze verändern, sondern könnte Mittel der „wehrhaften Demokratie“ dazu verwenden, diese zu demolieren. Weniger riskant wäre, die Verfassung gäbe keiner Regierung die Möglichkeit, einen Geheimdienst auf die Opposition anzusetzen.
6) Der Verfassungsschutz überschreitet Grenzen. Seit 2021 gibt es beim Verfassungsschutz einen Phänomenbereich „Delegitimierung des Staates“. Damit werde absolut zulässige Regierungskritik in eine extremistische Ecke gestellt, so Rechtswissenschaftler Boehme-Neßler. Der Verfassungsrechtler hält dieses Vorgehen des Verfassungsschutzes für nicht grundgesetzkonform:
Nancy Faeser, Bundesinnenministerin im Kabinett Scholz. © dpaInnenministerin Nancy Faeser und Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang haben hier die Grenze zum autoritären Staat überschritten.
7) Der Verfassungsschutz sät Misstrauen: Nur durch Kritik wird eine Regierung dazu gebracht, regelmäßig ihre Politik zu überdenken. Je „härter die Gangart“ des Verfassungsschutzes, desto eher entsteht der Eindruck, Grundrechte und Demokratie gelten nur, solange es denen an der Macht passt. Kurzum: Der Verfassungsschutz erzeugt die Demokratie- und Verfassungsskepsis zu einem gewissen Teil mit, die er dann vorgibt, zu bekämpfen.
Fazit: Gegen die AfD hilft nur eine bessere Politik.