{"nodeType":"document","data":{},"content":[{"nodeType":"paragraph","data":{},"content":[{"nodeType":"text","value":"The Pioneer: ","marks":[{"type":"bold"}],"data":{}},{"nodeType":"text","value":"Sie haben ein Buch über den Geschmack geschrieben. Es gibt also offenbar einiges mehr zu sagen als: Geschmack – das ist doch etwas total Subjektives. Was sagen Sie zu dieser Feststellung, mit der Sie bestimmt mehrfach konfrontiert waren? ","marks":[],"data":{}}]},{"nodeType":"paragraph","data":{},"content":[{"nodeType":"text","value":"Ulrich Raulff: ","marks":[{"type":"bold"}],"data":{}},{"nodeType":"text","value":"Das meiste, was wir über Geschmack sagen, ist natürlich vollkommen subjektiv, aber wir kleiden es gern in eine objektive Form. 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Es gibt wenig Beständiges im Geschmack.","marks":[],"data":{}}]},{"nodeType":"paragraph","data":{},"content":[{"nodeType":"text","value":"Es gibt vielleicht einzelne Farben, die ein langes Leben haben – das Blau der ","marks":[],"data":{}},{"nodeType":"text","value":"Maria","marks":[{"type":"bold"}],"data":{}},{"nodeType":"text","value":" oder das Schwarz der Trauer, oder Schwarz als Würdeformel. Aber das ist auch abgelöst worden, von anderen Farben. 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","marks":[],"data":{}}]},{"nodeType":"paragraph","data":{},"content":[{"nodeType":"text","value":"Raulff: ","marks":[{"type":"bold"}],"data":{}},{"nodeType":"text","value":"Jeder hat vielleicht schon in jungen Jahren jemanden kennengelernt, der nicht nur gut gekleidet ist, sondern auch schöne Umgangsformen hat, angenehme Umgangsformen, eine gewisse persönliche Eleganz.\nDas können Verwandte sein, Freunde der Eltern oder Lehrer.","marks":[],"data":{}}]},{"nodeType":"paragraph","data":{},"content":[{"nodeType":"text","value":"Ich hatte zum Beispiel einen Mathematiklehrer, den ich abgöttisch verehrt habe, obwohl ich von Mathematik überhaupt nichts verstand. Aber ich mochte diesen Menschen, er hatte einfach große Klasse.","marks":[],"data":{}}]},{"nodeType":"paragraph","data":{},"content":[{"nodeType":"text","value":"Er unterschied sich von den anderen eher biederen Lehrern und trug fantastische Anzüge, fuhr einen eleganten Mercedes, den er morgens vor die Schule rollen ließ. Dann stieg er aus, schlug die Tür zu und spazierte ganz leicht die Treppen hinauf. Diesen Mann fand ich einfach unglaublich.","marks":[],"data":{}}]},{"nodeType":"paragraph","data":{},"content":[{"nodeType":"text","value":"Pioneer:","marks":[{"type":"bold"}],"data":{}},{"nodeType":"text","value":" Im Leben gibt es also ein paar wenige Menschen, die stilbildend auf einen wirken oder einem in ästhetischer Hinsicht mehr mitgeben als andere Menschen. Ich möchte aber noch nach bestimmten Objekten oder historischen Persönlichkeiten fragen, die jeder kennt. Sie behandeln in Ihrem Buch einen gewissen Materialstand: Was sind solche schönen, guten Dinge – oder Menschen, die diese guten Dinge verkörpern?","marks":[],"data":{}}]},{"nodeType":"paragraph","data":{},"content":[{"nodeType":"text","value":"Raulff: ","marks":[{"type":"bold"}],"data":{}},{"nodeType":"text","value":"Ich beginne im Buch mit einer kleinen gezielten Verrücktheit: Ich stelle zwei Personen nebeneinander, die denkbar unterschiedlich sind und durch 200 Jahre voneinander getrennt. Nur eine der beiden Personen ist historisch, die andere ist literarisch und filmisch.","marks":[],"data":{}}]},{"nodeType":"paragraph","data":{},"content":[{"nodeType":"text","value":"Diese literarisch-filmische Figur ist ","marks":[],"data":{}},{"nodeType":"text","value":"Holly Golightly ","marks":[{"type":"bold"}],"data":{}},{"nodeType":"text","value":"(gespielt von ","marks":[],"data":{}},{"nodeType":"text","value":"Audrey Hepburn","marks":[{"type":"bold"}],"data":{}},{"nodeType":"text","value":"), die Protagonistin aus ","marks":[],"data":{}},{"nodeType":"text","value":"Breakfast at Tiffany’s ","marks":[{"type":"italic"}],"data":{}},{"nodeType":"text","value":"(","marks":[],"data":{}},{"nodeType":"text","value":"Frühstück bei Tiffany","marks":[{"type":"italic"}],"data":{}},{"nodeType":"text","value":"). Die historische Figur ist ","marks":[],"data":{}},{"nodeType":"text","value":"Johann Joachim Winckelmann","marks":[{"type":"bold"}],"data":{}},{"nodeType":"text","value":", der Archäologe und Kunsthistoriker in Rom, 200 Jahre früher.","marks":[],"data":{}}]},{"nodeType":"paragraph","data":{},"content":[{"nodeType":"text","value":"Beide haben in den 60er Jahren ihres jeweiligen Jahrhunderts eine besondere Rolle gespielt – Winckelmann um 1760, Holly Golightly um 1960.","marks":[],"data":{}}]},{"nodeType":"embedded-entry-block","data":{"target":{"metadata":{"tags":[],"concepts":[]},"sys":{"id":"7F4IW7ZEThDkISqzG0xpaG","type":"Entry","createdAt":"2025-11-14T11:47:16.612Z","updatedAt":"2025-11-14T15:32:17.793Z","publishedVersion":15,"revision":2,"contentType":{"sys":{"type":"Link","linkType":"ContentType","id":"imageWithMeta"}},"locale":"de"},"fields":{"id":"SW1hZ2VXaXRoTWV0YS03RjRJVzdaRVRoRGtJU3F6RzB4cGFHX19fMzIzMjE3ZjY0M2MzZTNmMWZlNzUzMmU3MmFjMDFiYjA3NDhjOTdiZQ","url":"//image-service.thepioneer.de/show/mj324dykhxwi/2sF26HfZrUfXxKSMYckKan/db697936ff2dd699599aafa91bf0600c/imago141807071.jpg","preview":"","width":3764,"height":2987,"assetId":"2sF26HfZrUfXxKSMYckKan","link":null,"copyright":"Imago","title":"Audrey Hepburn","caption":"Stilsicher: Audrey Hepburn als Holly Golightly in Breakfast at Tiffany´s ","description":"","alt":"Stilsicher: Audrey Hepburn als Holly Golightly in Breakfast at Tiffany´s ","fileSize":860452,"contentType":"image/jpeg"}}},"content":[]},{"nodeType":"paragraph","data":{},"content":[{"nodeType":"text","value":"Diese beiden Figuren haben auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun, außer dass sie sicheren Geschmack verkörpern – nicht unbedingt ","marks":[],"data":{}},{"nodeType":"text","value":"guten","marks":[{"type":"italic"}],"data":{}},{"nodeType":"text","value":", aber sicheren Geschmack. Holly Golightly mischt alle Stilarten und ist auch zu den größten Geschmacklosigkeiten fähig – man muss sich nur ihre Wohnungseinrichtung anschauen.","marks":[],"data":{}}]},{"nodeType":"paragraph","data":{},"content":[{"nodeType":"text","value":"Pioneer: ","marks":[{"type":"bold"}],"data":{}},{"nodeType":"text","value":"Das Interessante ist doch gerade die Kombination aus ihrem berühmten Kleinen Schwarzen und dann diese schäbig eingerichtete Wohnung. 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","marks":[],"data":{}}]},{"nodeType":"paragraph","data":{},"content":[{"nodeType":"text","value":"Pioneer: ","marks":[{"type":"bold"}],"data":{}},{"nodeType":"text","value":"Der Begriff Freiheit ist in dem Kontext schön, weil sicherer Geschmack nicht verkrampft sein darf. Er muss mit einer gewissen Leichtigkeit daherkommen und die Freiheit haben, sich zu entfalten. ","marks":[],"data":{}}]},{"nodeType":"paragraph","data":{},"content":[{"nodeType":"text","value":"Raulff:","marks":[{"type":"bold"}],"data":{}},{"nodeType":"text","value":" Eine gewisse Nonchalance, ja. Zum sicheren Geschmack gehört Mut und eine gewisse leichte Unverschämtheit. Und Vertrauen in den eigenen Riecher.","marks":[],"data":{}}]},{"nodeType":"paragraph","data":{},"content":[{"nodeType":"text","value":"Pioneer: ","marks":[{"type":"bold"}],"data":{}},{"nodeType":"text","value":"Das heißt: Wenn man nur nachahmt, was andere tragen und machen …","marks":[],"data":{}}]},{"nodeType":"paragraph","data":{},"content":[{"nodeType":"text","value":"Raulff:","marks":[{"type":"bold"}],"data":{}},{"nodeType":"text","value":" …das ist langweilig. ","marks":[],"data":{}}]},{"nodeType":"paragraph","data":{},"content":[{"nodeType":"text","value":"Raulff:","marks":[{"type":"bold"}],"data":{}},{"nodeType":"text","value":" Geschmack hat zwei starke Flügel: Der eine ist die Distinktion – sich von anderen unterscheiden, alles nach eigener Nase tun. ","marks":[],"data":{}}]},{"nodeType":"paragraph","data":{},"content":[{"nodeType":"text","value":"Der andere ist die Nachahmung. Geschmack ist ein starkes Phänomen der Imitation. 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Auch die Künste und Gewerbe, die die Objekte des Geschmacks hervorbringen, erzeugen teils das absolut Neue, teils wunderbare Nachahmungen.","marks":[],"data":{}}]},{"nodeType":"embedded-entry-block","data":{"target":{"metadata":{"tags":[],"concepts":[]},"sys":{"id":"28xVTWvNUZ0e5Fw6l6XbjX","type":"Entry","createdAt":"2025-11-14T15:37:09.112Z","updatedAt":"2025-11-14T15:37:09.112Z","publishedVersion":4,"revision":1,"contentType":{"sys":{"type":"Link","linkType":"ContentType","id":"imageWithMeta"}},"locale":"de"},"fields":{"id":"SW1hZ2VXaXRoTWV0YS0yOHhWVFd2TlVaMGU1Rnc2bDZYYmpYX19fMzIzMjE3ZjY0M2MzZTNmMWZlNzUzMmU3MmFjMDFiYjA3NDhjOTdiZQ","url":"//image-service.thepioneer.de/show/mj324dykhxwi/1yPM9nYqeUQfVwIKfKtz7s/b536d702ae4be9e712f728160e9f1f34/imago53015117.jpg","preview":"","width":2301,"height":1500,"assetId":"1yPM9nYqeUQfVwIKfKtz7s","link":null,"copyright":"Imago","title":"Bad taste? Die Sex Pistols 1978 in London ","caption":"Bad taste? Die Sex Pistols 1978 in London ","description":"","alt":"Bad taste? Die Sex Pistols 1978 in London ","fileSize":446293,"contentType":"image/jpeg"}}},"content":[]},{"nodeType":"paragraph","data":{},"content":[{"nodeType":"text","value":"Pioneer: ","marks":[{"type":"bold"}],"data":{}},{"nodeType":"text","value":"Es ist also immer ein Spiel zwischen Tradition und Innovation?","marks":[],"data":{}}]},{"nodeType":"paragraph","data":{},"content":[{"nodeType":"text","value":"Raulff: ","marks":[{"type":"bold"}],"data":{}},{"nodeType":"text","value":"Genau. Das sieht man auch in der künstlerischen Avantgarde. Auf großen Ausstellungen wie der","marks":[],"data":{}},{"nodeType":"text","value":" documenta","marks":[{"type":"italic"}],"data":{}},{"nodeType":"text","value":" sieht man sofort die Elemente der Tradition – und die Abweichung davon.","marks":[],"data":{}}]}]}

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