Kein Frieden, kein Preis

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 © ThePioneer

Guten Morgen,

ginge es auf der Welt mit rechten Dingen zu, dürfte der Friedensnobelpreis in diesem Jahr nicht verliehen werden. Die im Testament des Stifters Alfred Nobel niedergelegten Kriterien, wonach eine Persönlichkeit ausgezeichnet werden soll, die „am besten für die Verbrüderung der Völker“ und „die Abschaffung oder Verminderung der stehenden Heere“ gewirkt hat, sind streng und eindeutig. Derzeit erfüllt sie niemand.

 © nobelprize.org

Die Welt ist ein unwirtlicher Ort geworden. Der Geruch von Schießpulver ist das Eau de Toilette der Mächtigen. Auf der Weltbühne beobachten wir eine Zusammenrottung roher Kerle, die schon den Wunsch nach Frieden als Ausdruck von Willensschwäche betrachten. Donald Trump, Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdoğan und Xi Jinping wollen Dominanz, nicht Frieden. Sie streben nach Überlegenheit, nicht nach einem Ausgleich der Interessen.

Trump gefährdet mit seinem Rückzug aus Syrien die ohnehin fragile Machtbalance in der Region. Zum Friedensschluss mit Nordkorea war der US-Präsident bisher nicht bereit. Die Chinesen putscht er mit seiner Handelspolitik regelrecht auf. Samuel Huntingtons „Kampf der Kulturen“ erlebt nach der Auseinandersetzung des Westens mit dem islamischen Fundamentalismus nun seine Zweitverfilmung.

Erdoğan ignoriert mit vorsätzlicher Lässigkeit die Menschenrechte im Inneren seines Landes. Nach Belieben wird verhaftet und gefoltert. Die Pressefreiheit ist suspendiert. Die nun vom türkischen Staatschef gestartete Invasion der Armee im Nordosten Syriens bringt Not, Tod und neue Flüchtlingsströme.

Chinas Machthaber Xi heizt das innenpolitische Klima mit seiner Hongkong-Politik weiter an. Schlagstock statt Dialog. Die Militärs vor den Toren der Metropole stehen bereit. Sie sind der Sprengsatz, dessen Lunte Chinas starker Mann fest in der Hand hält.

► Kreml-Chef Putin hat sich in der Abendröte seiner Ära auf eine Politik der Destabilisierung spezialisiert, die nach Krim-Besetzung und Ukraine-Konflikt auch vor der Einmischung in amerikanische Wahlkämpfe nicht mehr zurückschreckt.

Greta Thunberg © dpa

Wer nun aus Verlegenheit die Namen Greta Thunberg und Angela Merkel ins Spiel bringt, verkennt die hohen Anforderungen, die Alfred Nobel an eine echte Friedenspolitik stellte. Ihm ging es um reale Veränderungen und nicht deren Hologramm.

Richtig ist ja: Merkel ist die letzte Moderate in einer Welt der Aufpeitscher. Die Kanzlerin verfolgt ausnahmslos friedliche Ziele und ist – so könnte man argumentieren – mit der Auszehrung der Bundeswehr in Vorleistung getreten. Nie zuvor hat ein Staat die eigene Verteidigungsunfähigkeit mutwillig, einseitig und ohne Vorbedingungen herbeigeführt.

Greta Thunberg produzierte mit ihrer scharfen Rhetorik ohne Zweifel Aufmerksamkeit für das Anliegen des Klimaschutzes, aber echten Frieden brachte sie nicht. Sie agitiert und polarisiert. Gekonnt inszeniert sie ihr Thema als modernes Untergangsdrama, was sie am ehesten noch für den Literaturnobelpreis qualifiziert.

Kurz und gut: Das Nobelpreiskomitee wäre gut beraten, nicht wie 2014 mit der pakistanischen Aktivistin Malala Yousafzai erneut einen Kinderstar zu dekorieren. Und auch das Modell der Vorschusslorbeere, die 2009 der damalige US-Präsident Barack Obama nach Hause trug, hat dem Renommee des Preises nicht gutgetan.

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Die großen Preisträger waren Weltveränderer wie George C. Marshall im Jahr 1953, ohne den der Wiederaufstieg Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg undenkbar gewesen wäre. Oder Willy Brandt, der 1971 für seine Entspannungspolitik gegenüber der Sowjetunion geehrt wurde. Und Michail Gorbatschow, der 1990 den Nobelpreis für die friedliche Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland erhielt.

Wir lernen: Würdige Preisträger sind Menschen, die Wirklichkeit verändern – und nicht die Schlagzeile des nächsten Morgens.

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Die politische Aufarbeitung der Morde von Halle hat begonnen. Der Sicherheitsapparat, der ausgerechnet am höchsten jüdischen Feiertag nicht in der Lage war, einen Polizisten vor der Synagoge zu postieren, muss sich unbequeme Fragen gefallen lassen. Auch CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die den versuchten Massenmord als „Alarmzeichen“ verniedlichte, steht erneut in der Kritik. Allmählich fällt selbst ihren Gefolgsleuten auf, dass das saarländische Landratsamt, auch wenn es sich „Staatskanzlei“ nennt, keine Kaderschmiede für Kanzlerkandidaten ist.

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In der heutigen Ausgabe der „Welt“ mischt sich Springer-Chef Mathias Döpfner in die Debatte ein. Seine Kernaussagen:

Die verbale Entgleisung von AKK steht symbolisch für eine politische Kultur der Euphemismen. Immer weniger wird noch benannt, wie es ist.

Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind in Deutschland wieder vital. Existiert haben sie immer. Entscheidend ist, wie die Mehrheit der Bevölkerung und ihre demokratisch gewählte Führung damit umgehen.

Und dieser Umgang der Führung wirke derzeit wie ein Brandbeschleuniger. Die Hauptursache dafür sei eine politische Elite, die Toleranz gegenüber der Intoleranz lebe. Und eine mediale Elite, die Haltung oft über Fakten stelle und so ihre wichtigsten Wirkungsgrundlagen schwäche: Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Fazit: Die Debatte über den richtigen Umgang von Politik und Medien mit einer widrigen Wirklichkeit muss geführt werden. Und sie sollte geführt werden ohne Ansehen der Person, auch der eigenen. Wir sind nicht so unschuldig wie wir uns fühlen. Die unbequeme Wahrheit ist wahrscheinlich diese: Wenn ein Finger auf den Attentäter von Halle zeigt, zeigen vier auf uns.

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan will sich von seiner Nordsyrien-Mission nicht abhalten lassen. Sollte Europa versuchen, zu intervenieren, werde er das Flüchtlingsabkommen aufkündigen, so Erdogan. „Wir werden die Tore öffnen“, drohte er.

Europa und speziell Deutschland haben sich durch das Flüchtlingsabkommen erpressbar gemacht, sagt Düzen Tekkal. Die 41-Jährige mit jesidisch-kurdischen Wurzeln war TV-Krisenreporterin, ist mit einem eigenen Verein humanitär engagiert und hat als CDU-Mitglied gute Chancen, in einer künftigen Landesregierung als Migrationsbeauftragte verpflichtet zu werden.

Als Gesprächspartnerin von „Welt“-Vize Robin Alexander entwirft sie im Morning Briefing Podcast ein Programm, wie sich die Bundesrepublik wieder von der Türkei unabhängiger machen könnte:

► Sie schlägt vor, die Finanzierung von deutschen Moscheen durch die Türkei zu kappen, damit diese „wieder Orte des Glaubens werden können“. Im Moment nutzt die Türkei diese Moscheen für ihre Propaganda.

► Die predigenden Imame sollten in Deutschland ausgebildet werden, sodass ihre Lehre „auf dem deutschen Grundgesetz fußt“, sagt sie. Im Moment wird dem Gastland mit fundamentalistischer Feindseligkeit begegnet.

► Das Flüchtlingsabkommen sollte zumindest hinterfragt und es sollte nach Alternativen gesucht werden, sagt Tekkal. Sie würde am liebsten „auch dafür sorgen, die kurdische Region und auch Teile Syriens zu befrieden, sodass dass man die Flüchtlinge auch dort unterbringen kann.“

► Deutschland sollte international mehr Verantwortung übernehmen. „Die gegenwärtigen Lebensverhältnisse zeigen uns, dass es uns sowieso einholt – deswegen wünsche ich mir mehr Mut.“

Diese Frau trägt unkonventionelle Ideen vor, die man so am Kabinettstisch noch nie gehört hat. Kanzlerin und Außenminister täten gut daran, ihre Denkroutinen heute für zehn Minuten zu durchbrechen.

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Der seit 2010 amtierende SAP-Vorstandschef Bill McDermott tritt überraschend zurück. Auf ihn folgt nun ein Führungsduo: Die Vorstandsmitglieder Jennifer Morgan und Christian Klein sollen mit sofortiger Wirkung seine Nachfolge antreten und Europas größten Softwarehersteller führen. Unter McDermott, der bei einem Unfall 2015 ein Auge verlor und seitdem Sonnenbrille trägt, stieg SAP zum wertvollsten Dax-Konzern auf. Aktuell ist das Unternehmen rund 130 Milliarden Euro wert.

Einen Grund für den plötzlichen Rücktritt McDermotts nannte SAP nicht. Sein Vertrag lief noch bis 2021. Er twitterte heute Nacht in typisch amerikanischer Manier: „I love the people of this company. I couldn’t be prouder of what we did. Now we start the next chapter!"

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Wenn die designierte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am 1. November ihr neues Büro in Frankfurt bezieht, trifft sie auf einen EZB-Rat, der so zerstritten ist wie nie zuvor in seiner 21-jährigen Geschichte. Eigentlich soll das wichtigste Gremium der Europäischen Zentralbank nach Außen mit einer Stimme sprechen, doch Protokolle von Mario Draghis letzter Sitzung im September enthüllen, dass dies immer schwieriger wird.

Vor allem die Neuauflage des Anleihekaufprogramms entzweit die 25 Ratsmitglieder: „Eine Reihe von Mitgliedern“ des EZB-Rats sei der Meinung gewesen, dass die Gründe dafür „nicht stark genug sind“, heißt es im Protokoll. Die Kritiker meinen, dass weitere Käufe wenig bis nichts bewirken. Die Führungsriege im Frankfurter EZB-Tower ist damit gespalten. Oder um es mit Greta zu sagen: The house is on fire.

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in das verdiente Wochenende. Es grüßt Sie herzlichst Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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