die Rezession des Jahres 2019 blieb weitestgehend ein mediales Phänomen („SZ“: „Es droht die nächste große Wirtschaftskrise“), das seine Reichweite durch die politische Apokalyptik erhielt. Olaf Scholz gefiel sich mit dem Satz: „Die fetten Jahre sind vorbei“. Das stimmte, aber nur in Bezug auf die Karriere von Scholz. Die Realwirtschaft dagegen wird in 2020 erneut durchstarten.
Die Prognosen von IWF und OECD zeigen eine Weltwirtschaft im Wachstum. Auch die Stimmungsdaten des Münchner Ifo-Instituts zum Geschäftsklima deuten auf eine optimistisch gestimmte Unternehmerschaft hin. Sieben Gründe sprechen dafür, dass wir auf absehbare Zeit keine Rückkehr zum traditionellen Konjunkturzyklus erleben und womöglich sogar vor einem Jahrzehnt weltweiter Prosperität stehen:
Erstens: In den kommenden 30 Jahren steigt die Weltbevölkerung von fast 7,7 Milliarden auf rund 9,6 Milliarden Menschen, sagt die OECD. Ein Anstieg von etwa 25 Prozent. Wenn die Staatengemeinschaft nicht alles falsch macht, bedeutet dieser Zuwachs eine nie dagewesene Stimulierung von Kaufkraft und Wirtschaftsleistung.
Eine Infografik mit dem Titel: Keine Krise an Finanzmärkte
Entwicklung von S&P 500 und Eurostoxx 50, in Punkten
Zweitens: Die Notenbanken in Europa, den USA und Asien fluten die Geldmärkte. Das treibt die Aktienkurse (siehe Grafik). Zugleich findet die wundersame Geldvermehrung über die laxe Kreditvergabe der Banken ihren Weg in die Realwirtschaft. Nahezu risikolos können Investitionskredite aufgenommen werden.
Eine Infografik mit dem Titel: Mehr geliehenes Geld im Umlauf
Anstieg der weltweiten Verschuldung, in US-Dollar
Eine Infografik mit dem Titel: Konsum statt Konjunkturflaute
Aktienkurs von PepsiCo., in US-Dollar
Drittens: Die Welt fühlt ökologisch, aber lebt hedonistisch. Die Lust auf Kaffeekapseln, Onlineshopping und Billigflüge ist ungebrochen, wovon die großen Konsumartikelhersteller Nestlé, Procter & Gamble, PepsiCo, aber auch Walt Disney, McDonald’s und Netflix profitieren. Die Aktie von PepsiCo hat sich seit Jahresbeginn um 30 Prozent im Wert gesteigert. Die Aktie von Walt Disney legte um 40 Prozent zu. Diese Wertpapiere erzählen die Geschichte einer Gesellschaft, die anders handelt, als sie redet.
© dpaViertens: Wir erleben die Gleichzeitigkeit von Globalisierung und Digitalisierung, was einen Wachstumsturbo ohne historisches Vorbild bedeutet. Die wachstumsfördernde Wirkung der Fließbandproduktion, wie Henry Ford sie einst in Detroit erfand, wird durch die heutige Kettenreaktion der Innovation um ein Vielfaches übertroffen.
© dpaFünftens: Die Welt hat gelernt, mit ihrer Überforderung zu leben. Trump, Johnson, Putin, Erdoğan und Bolsonaro amüsieren das Publikum, aber ängstigen es nicht. Nirgendwo auf der Welt gibt es Anzeichen für eine Angststarre, die zur Konsumverweigerung führen könnte.
Sechstens: Die beschleunigte Emanzipation und damit der Eintritt gut ausgebildeter Frauen in das Erwerbsleben bedeutet eine enorme Steigerung der Produktivkraft. Allein seit 2002 stieg die deutsche Erwerbstätigenquote der Frauen von 62 Prozent auf zuletzt 76 Prozent. Die ehemals stillgelegten Potenziale kommen zur Entfaltung.
© dpaSiebtens: Die Qualifizierung der Menschen und damit die Anreicherung der Erwerbspotenziale schreitet in Europa voran. Seit 2009 verfügen rund 50 Prozent der EU-Bürger über einen Bildungsabschluss im Sekundarbereich II (Abitur). Im tertiären Bildungsbereich (zum Beispiel Universitäten und Hochschulen) stieg die Quote von über 22 auf knapp über 30 Prozent.
Fazit: Die Wachstumskräfte wirken mit hoher Dynamik und in voller Breite. Selbst mit Vorsatz dürfte es nicht leicht sein, die Weltkonjunktur abzuwürgen. Erst die Gleichzeitigkeit einer weltweiten Terrorserie, einem wuchtigen Ölpreisanstieg und den Ansteckungseffekten einer zahlungsunfähigen Bank könnte die Weltwirtschaft in die Knie zwingen. Dieses Szenario beschäftigt bisher lediglich das Genre der Crash-Literatur.
Der „Spiegel“ kommt nicht zur Ruhe. Im heutigen Podcast-Interview meldet sich der ehemalige Generalbundesanwalt Alexander von Stahl zu Wort, ein prominentes Opfer der „Spiegel“-Titelgeschichte „Der Todesschuss. Versagen der Terrorfahnder“. Die einstige Justizministerin und FDP-Parteifreundin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hatte ihn nach Veröffentlichung der „Spiegel“-Story kurzerhand in den Ruhestand versetzt.
Darum geht’s: In Ausgabe 27 des Jahres 1993 berichtete der damalige „Spiegel“-Starreporter Hans Leyendecker über den Einsatz des Anti-Terrorkommandos GSG9 am 27. Juni 1993 in Bad Kleinen. Die Mission der Eliteeinheit, bei der einer ihrer Beamten starb, endete – so Leyendeckers Erzählung – mit der Tötung des Terroristen Grams. Er sei, so der „Spiegel“, hingerichtet worden. Leyendecker zitierte einen anonymen Kronzeugen mit dem Satz:
Die Tötung des Herrn Grams gleicht einer Exekution.
Bundesinnenminister Rudolf Seiters trat am 4. Juli 1993 zurück, Alexander von Stahl wurde zwei Tage später entlassen. Angeregt von der Transparenz-Offensive des „Spiegel“ in Sachen Claas Relotius löste der heute 81-jährige von Stahl nun mit einem Anruf in der „Spiegel“-Chefredaktion die interne Revision aus. Er möchte, dass die vor 26 Jahren publizierte Titelgeschichte noch einmal überprüft wird. Die Schlüsselfrage: Gab es hier überhaupt einen Informanten oder wurde freihändig erfunden?
Von Stahl hat die Gerichte auf seiner Seite, die mittlerweile festgestellt haben: Der „Spiegel“ lag damals falsch. Der flüchtige Terrorist wurde nicht vom Staat exekutiert, sondern gab sich selbst den finalen Schuss in den Kopf. Es war Suizid, kein Mord.
Im Morning Briefing Podcast Studio, das Alexander von Stahl gestern in Begleitung seiner Ehefrau Monika besuchte, stellt er seine Sicht der Dinge dar:
► Demnach hat sich der „Spiegel“ bis heute nicht bei ihm entschuldigt.
► Er erwartet vom „Spiegel“ eine nachträgliche Aufklärung des journalistischen Fehlverhaltens.
► Die Existenz des geheimnisvollen Informanten bezweifelt er. Für ihn lieferte der „Spiegel“, so sagt es der Ex-Generalbundesanwalt, „Fake News“.
Von Stahl im Podcast-Gespräch:
Den anonymen Zeugen, den der 'Spiegel' angeblich hatte, den hat es meiner Ansicht nach gar nicht gegeben. Der 'Spiegel' hat also die Geschichte erfunden.
Was die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand für von Stahl persönlich bedeutete, beschreibt er so:
Zunächst einmal fällt man in ein tiefes Loch. Gott sei Dank bin ich mit einer liebevollen Frau verheiratet, die mir aus diesem Loch geholfen hat.
Seine Erwartung an die Führung des Nachrichtenmagazins formuliert er mit großer Klarheit:
Meine Erwartung an den 'Spiegel' wäre, dass der 'Spiegel' einräumt, dass er damals einen schweren journalistischen Fehler begangen hat, indem er diese Geschichte publiziert hat.
Alexander von Stahl ist dem „Spiegel“ seither kritisch, aber nicht feindlich gesinnt:
Unsere Standardlektüre sind 'FAZ' und 'Spiegel'.
Fazit: Der „Spiegel“ sollte seine Vergangenheit aufarbeiten, gerade da wo sie fragwürdig wirkt. Wer sich „Nachrichtenmagazin“ nennt, darf in seinen Reihen keine Märchenerzähler dulden. Der Name Augstein verpflichtet – und zwar nicht zur Wichtigtuerei, sondern zur Wahrhaftigkeit.
Die Kanzlerin stellte sich im Bundestag erneut den Fragen der Abgeordneten. Union und SPD hatten im Koalitionsvertrag vereinbart, dass Angela Merkel dreimal jährlich im Parlament persönlich befragt werden darf. Eine Stunde stand die Regierungschefin nun also Rede und Antwort. Die drei wichtigsten Erkenntnisse:
► Merkel stärkte ihrem wegen der gescheiterten Pkw-Maut in Bedrängnis geratenen Verkehrsminister den Rücken: „Ich finde, dass Andi Scheuer eine sehr gute Arbeit macht.“
► Gegenmaßnahmen zu den vom US-Kongress beschlossenen Sanktionen gegen die Gaspipeline Nord Stream 2 steht die Kanzlerin ablehnend gegenüber.
► Die Regierungschefin verteidigte ihren auch in der Union umstrittenen Kurs, bei der Einführung des Internetstandards 5G den chinesischen Telekommunikationsausrüster Huawei nicht von vornherein auszuschließen. „Ich bin gegen den prinzipiellen Ausschluss eines Unternehmens. Aber ich bin dafür, dass wir alles tun, um die Sicherheit zu gewährleisten.“
Den deutschen Volksbanken droht Ärger mit der Finanzaufsicht BaFin. Eine Sonderprüfung des zentralen IT-Dienstleisters Fiducia legte „schwere Mängel“ in der technischen Infrastruktur offen – von insgesamt 15 Schwachstellen fielen drei in die gravierendste Kategorie der Prüfer, sechs weitere immerhin noch in die der „gewichtigen“ Mängel.
Für die genossenschaftlich organisierten Geldinstitute könnten die Probleme bei dem Dienstleister Folgen haben: Die BaFin ist in der Lage, den Banken schlechtere Noten im Risikoprofil zu erteilen oder ihre Risikozuschläge bei der vorgeschriebenen Kernkapitalquote zu erhöhen. Gut, dass es diese wehrhafte Bankenaufsicht gibt: Der Staat setzt Regeln - und setzt sie auch durch.
Die Sprache ist das beste Kommunikationsmittel der Welt und der Grund für den Siegeszug der Smart-Home-Geräte. Millionen Menschen bestellen ihre Flugtickets und Getränke, starten Musiksongs, die Spülmaschine oder die Sitzheizung im Auto auf Zuruf.
© dpaDie deutschen Anbieter, von der Deutschen Telekom bis zu Innogy, bekommen nun wieder einmal scharfe Konkurrenz aus dem Silicon Valley. Die Tech-Konzerne Google, Amazon und Apple wollen die Verbindung ihrer Geräte vereinfachen und einen gemeinsamen Standard definieren, damit die Kunden problemlos zwischen den Welten agieren können. Zu der Gruppe gehören auch Ikea, Samsung und Philips. Ihr Versuch: Den neuen DIN-Standard für die Vernetzung von Wohnungen und Häusern zu definieren.
Wir lernen: Durch Voice-Systeme sinkt die Barriere zwischen Mensch und Maschine. Wer seine Heizung, die Klimaanlage oder den Kühlschrank mit ein paar Worten steuern kann, verliert die Angst vor der Technik. Der deutsche Weg der Technologiebetrachtung – Angst, Ablehnung, Adaption – wird dadurch verkürzt.
Adam Neumann hat das Start-up WeWork, das sich auf die flexible Vermittlung von Büroflächen spezialisierte, aufgebaut. Er konnte Investoren wie Softbank-Gründer Masayoshi Son, einen der reichsten Japaner, für sich begeistern und so sein Unternehmen auf eine Rekordbewertung von 47 Milliarden Dollar treiben. Als der geplante Börsengang schiefging, fiel das Kartenhaus in sich zusammen. Neumann lebte das Leben eines Rockstars, nicht das eines CEO. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft.
Ein Medium, das vor 570 Jahren erfunden wurde, hat bisher alle technologischen Sprünge überlebt und ist weiter putzmunter: das Buch. Zu Weihnachten werden wieder Millionen Exemplare unter dem Tannenbaum liegen. Allein Michelle Obama verkaufte von ihrer Biografie „Becoming“ bisher über 11 Millionen Exemplare. Seit einem Jahr steht das Buch auf der New York Times Bestseller Liste.
Die Stabilität der Buchbranche nutzt Bertelsmann-Chef Thomas Rabe für den größten Zukauf des Jahres. Für 675 Millionen Dollar übernimmt er nun weitere 25 Prozent von Penguin Random House und wird damit alleiniger Eigentümer des weltgrößten Publikumsverlages.
Fazit: Das Buch ist die vielleicht letzte Oase der gedanklichen Klarheit. Es inspiriert und informiert, aber es schreit oder blinkt einen nicht an. Wo sonst kann man Geld gegen Klugheit tauschen. Oder um es mit dem argentinischen Literaten Jorge Luis Borges zu sagen: „Ich habe mir das Paradies immer als Bibliothek vorgestellt.“
Ich wünsche Ihnen einen gut gelaunten Start in diesen vorweihnachtlichen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr