Schuldendebatte

Über das Sparen müssen wir sprechen

Die Schulden-Frage ist viel komplexer als sie derzeit diskutiert wird. Das sagen die Ökonomen Heiner Flassbeck und Patrick Kaczmarczyk und fordern, die Schuldendebatte in einen gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang einzubinden.
Patrick Kaczmarczyk, Heiner Flassbeck
Heute
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Für die Bundeshaushalte 2027 bis 2029 steht die Bundesregierung bei der bisherigen Finanzplanung vor der historischen Herausforderung, so viel einsparen zu müssen wie keine Regierung vor ihr. 160 Milliarden sind es insgesamt, die gekürzt werden sollen – trotz der neuen fiskalischen Spielräume über das Sondervermögen und die Bereichsausnahme für die Rüstungsausgaben.

Die öffentlichen Debatten drehen sich größtenteils darum, wo gekürzt und gespart werden sollte. Die „Alternativlosigkeit“ dieser Politik erlebt ein nicht für möglich gehaltenes Comeback.

Besonders erschreckend in der öffentlichen Diskussion ist, dass die wirtschaftspolitischen Handlungsoptionen und der staatliche Schuldensaldo immer in Isolation betrachtet werden. Es wird implizit unterstellt, der Staat habe keinen Einfluss auf die Volkswirtschaft insgesamt und von der Volkswirtschaft einschließlich des Außenhandels gingen keine Wirkungen auf den Staat aus. Das ist falsch.

Gerade diejenigen, die beklagen, dass der Staat zu groß geworden ist und in allen Bereichen seine Macht ausspielt, unterstellen bei ihren finanzwissenschaftlichen Analysen, der Staat spiele keine Rolle. Umgekehrt ist der Einfluss noch offensichtlicher. Der Staat muss auf Verschlechterungen und Verbesserungen der wirtschaftlichen Lage reagieren, weil seine Einnahmen und seine Ausgaben (und das Wahlergebnis der Politiker) davon unmittelbar abhängen. Nur er kann prozyklisches Verhalten der Privaten ausgleichen und überwinden.

Einer der Autoren dieses Textes – Heiner Flassbeck bei einem Wirtschaftsforum in Delhi, 01.03.2019 © imago

Der falsche Ausgangspunkt

Wer über staatliche Schulden spricht, ohne über das Sparen der privaten Sektoren einer Volkswirtschaft zu reden, hat von vorneherein das Thema verfehlt. Wer glaubt, es ginge vornehmlich darum, was der Staat mit dem geliehenen Geld macht, ob er es investiert oder ob er es konsumiert, liegt immer noch weit daneben. Wer aus der Schuldenfrage eine Generationenfrage macht, hat nicht einmal die Buchhaltung verstanden. Wer gar denkt, er könne bei den konsumtiven Ausgaben beliebig kürzen, ohne die Wirkung dessen auf durch Schulden finanzierte Investitionen zu beachten, ignoriert die Rolle der Unternehmen in einer Marktwirtschaft.

Wer über staatliche Schulden spricht, ohne über die globale Dimension des Problems zu reden, hat die entscheidenden Zusammenhänge ausgeblendet. Offensichtlich kann die Welt insgesamt immer nur so viel ausgeben, wie sie einnimmt. Es gilt aber auch umgekehrt: die Welt kann nur so viel einnehmen, wie sie ausgibt. Die Welt kann weder unter noch über ihren Verhältnissen leben. Nur einzelne Länder können Überschüsse der Einnahmen über die Ausgaben aufweisen (Leistungsbilanzüberschüsse), denen zwingend Leistungsbilanzdefizite in anderen Ländern gegenüberstehen.

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Der Staat muss dafür sorgen, dass die Sparpläne auf der einen Seite und die Bereitschaft, sich zu verschulden auf der anderen Seite, unter Einschluss des Leistungsbilanzsaldos zu einer insgesamt zufriedenstellenden wirtschaftlichen Entwicklung führen. Das bedeutet, dass der Staat niemals auf eine rationale Art und Weise seine Schuldensituation einschätzen und bewerten kann, wenn er nicht weiß oder nicht beachtet, was bei den übrigen Sektoren passiert. Ignoriert der Staat diese Zusammenhänge, wird er am Ende dennoch hohe Schulden machen müssen, weil er für die dann zu erwartenden wirtschaftlichen Einbrüche und Krisen einstehen muss.

Was macht der Unternehmenssektor?

Im Zentrum jeder sinnvollen Analyse müssen immer die Unternehmen stehen. Das ist so, weil es die Einkommen der Unternehmen sind, die in der Marktwirtschaft am Anfang und am Ende jeder Kette von Käufen und Verkäufen stehen. Die Unternehmen beziehen das Residualeinkommen, also das Einkommen, das übrigbleibt, wenn bei einer Investition oder jeder anderen Transaktion alle vertraglich vereinbarten Zahlungen abgeleistet worden sind. Das Einkommen der Unternehmen über alle Sektoren hinweg ist immer eine Mischung aus solchen Einnahmen, die infolge von Investitionen generiert worden sind und solchen, die unmittelbar aus dem Konsum kommen. Diese Einnahmen entstehen, weil entweder die Unternehmen selbst oder die beiden anderen Sektoren (der Staat und die privaten Haushalte) Teile ihres Einkommens nicht sparen, sondern ausgeben.

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Für die unternehmerischen Investitionsentscheidungen ist die Quelle der Einnahmen der Unternehmen unerheblich. Ob die Nachfrage, Kapazitätsauslastung und Gewinne in einem Unternehmen steigen, weil das Unternehmen direkt von staatlichen Aufträgen profitiert oder dadurch, dass die anderen Unternehmen oder die Arbeitnehmer insgesamt wegen der staatlichen Aufträge über mehr Einkommen verfügen, ist für seine Investitionsentscheidungen nicht von Bedeutung. Umgekehrt: Wenn die Nachfrage eines Unternehmens sinkt, obwohl der Staat mehr investiert, aber gleichzeitig bei den Sozialleistungen kürzt, was wiederum zu sinkender Konsumnachfrage führen, wird seine Investitionsentscheidung negativ ausfallen. Niemand kann sagen, das eine überwiege das andere oder, es sei in der Regel weniger schädlich, die Sozialausgaben des Staates zu kürzen als die öffentlichen Investitionen.

Japan als Vorbild

In Japan hat gerade eine konservative Regierung ein Konjunkturprogramm in Höhe von mehr als 100 Milliarden Euro beschlossen. Sie hat das getan, obwohl die Staatsverschuldung Japans weit über 200 Prozent am BIP liegt, also unvergleichlich viel höher als in Deutschland und sogar als in den USA. Aber so ist nun einmal die ökonomische Logik: Ganz gleich, wie hoch das Niveau der Staatsverschuldung ist, bei einer drohenden Rezession muss der Staat die Verschuldung deutlich erhöhen, um die Wirtschaft so zu beleben, dass auch die Privaten weniger sparen oder sich verschulden und investieren. Tut er das nicht, kann er eine höhere Neuverschuldung nicht vermeiden, er ist dann allerdings in einer weit schlechteren Position, weil er eine tiefe Rezession bekämpfen muss, statt sie zu verhindern.

Sanae Takaichi, neue Premierministerin Japans © Imago

In Japan zeigt sich das besonders deutlich. Japan stand seit Beginn der 1980er Jahre unter massivem amerikanischem Druck, um seine Leistungsbilanzüberschüsse zu reduzieren. Als das zu Beginn der 1990er Jahre gelungen war, geriet das Land allerdings in eine Finanzkrise, die zu einem fundamental veränderten Verhalten der Unternehmen führte. Die Unternehmen begannen per Saldo zu sparen, erzielten also Jahr für Jahr Einnahmeüberschüsse. Richard Koo war der erste Ökonom, der dieses Verhalten beschrieben und die richtigen Schlüsse daraus gezogen hat (The Holy Grail of Macroeconomics).

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Zusammen mit dem Sparen der privaten Haushalte, erreichten die Einnahmeüberschüsse des privaten Sektors bis zur Jahrtausendwende in Japan Werte zwischen acht und zwölf Prozent des BIP. Diesen Nachfrageausfällen von Seiten der Privaten standen zu dem Zeitpunkt nur noch Ausgabeüberschüsse des Auslandes (japanische Leistungsbilanzüberschüsse) von zwei bis drei Prozent des BIP gegenüber. Wer hätte die Nachfragelücke füllen sollen? Wer diese Frage nicht beantwortet, kann nicht sachverständig über die staatlichen Finanzen in Japan urteilen.

Patrick Kaczmarczyk, einer der Autoren dieses Beitrags 

In den letzten zehn Jahren lag der japanische Leistungsbilanzüberschuss in der Größenordnung von zwei bis drei Prozent. Die private Ersparnis (Haushalte und Unternehmen) bewegte sich in der Größenordnung von sieben bis acht Prozent. Was hätte der japanische Staat tun sollen? Jeder Absturz der Wirtschaft hätte staatliche Hilfsmaßnahmen nach sich gezogen, die wiederum die Verschuldung des Staates nach oben getrieben hätten.

Eine gesamtwirtschaftliche Frage

Jeder Mensch, der ein Minimalverständnis von Ökonomik hat, muss anerkennen: Nur eine Theorie, die felsenfest beweisen würde, dass sparen immer und sofort zu investieren zu Verschuldung aufseiten der Unternehmen führt, das Sparproblem lösen könnte. Eine solche Theorie gibt es jedoch nicht. Die sogenannte neoklassische Theorie hat allerdings, weil sie immerhin die Bedeutung der Problematik verstanden hat, über den Zins eine automatische Umwandlung von Sparen in Investieren zu konstruieren versucht.

Doch diese Theorie scheitert an den Einkommen der Unternehmen. Jedes Sparen vermindert nämlich unmittelbar die Einkommen der Unternehmen, wodurch eine Anregung der Investitionen über einen sinkenden Zins unmöglich wird. Die Tatsache, dass der Finanzierungssaldo der Unternehmen diese in den meisten Ländern der westlichen Welt seit etwa 20 Jahren als Nettosparer ausweist, zeigt unzweifelhaft, dass es den neoklassischen Nexus nicht gibt. Wer das bei einer Schuldenanalyse ignoriert, kann sich nicht mehr auf Wissenschaft berufen.

Eine Infografik mit dem Titel: Sparen statt Schulden

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Wer seine Analyse nicht mit der Wirkung des Sparens oder des Verschuldens auf die Einkommen der Unternehmen beginnt und schließlich beendet, kommt keinen Schritt weiter. Weil das in den üblichen Ableitungen nie getan wird, ist der Großteil der Ökonomik auf dem Niveau der schwäbischen Hausfrau geblieben.

Selbst die deutschen Ordnungspolitiker, die die Marktwirtschaft wie ein Mantra vor sich hertragen, kennen die Einkommen und die Gewinne der Unternehmen in ihren Analysen nicht. Gesamtwirtschaftlich relevante Aussagen gibt es jedoch nur, wenn man die Residualeinkommen der Unternehmen in das Zentrum der Überlegungen stellt.

Für die Finanzpolitik der Bundesregierung sowie für die öffentliche Debatte bedeutet es, diese Wechselwirkungen in den Fokus zu nehmen. Wenn der deutsche Leistungsbilanzüberschuss weiter zurückgehen sollte und weder Unternehmen noch Haushalte ihr Sparverhalten ändern, wird der Staat nämlich keine Alternative haben, als sich höher zu verschulden, sofern er keine wirtschaftliche Krise verursachen will. Aber selbst wenn er durch Nichtstun die Fortsetzung der Krise riskiert, werden die Schulden aufgrund geringerer Steuereinnahmen und höherer Sozialausgaben steigen.

Fazit: Solange die Politik, die Ökonomik und die mediale Berichterstattung sich weigern, auf der Ebene der Gesamtwirtschaft über staatliche Schulden zu sprechen, ist es absehbar, dass sämtliche Debatten und daraus folgende Maßnahmen zu kurz greifen.

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