es ist wieder Montag – die letzte Parlamentswoche vor dem Sommer ist angebrochen; gestritten wird heute Abend über die Wahl der neuen Bundesverfassungsrichter, insbesondere der Richterin, und Elon Musk macht Ernst mit der Gründung einer eigenen Partei.
Wir wollen diese Woche
auf Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey blicken,
Ihnen eine babylonische Oper empfehlen,
und über eine neue Kaffeehaus-Kette nachdenken.
Doch zunächst geht es um den Nahost-Krieg und die deutsche Debatte darüber.
Los geht's.
Kann Deutschland über Israel sprechen, ohne über sich selbst zu sprechen?
Kann Deutschland über den Nahostkrieg, über Israel und Gaza sprechen, ohne in alte Schuld und ohne in alten oder auch neuen Hass zu verfallen?
Und wie schmal ist er wirklich, der Grat zwischen Israelkritik und Antisemitismus?
Die Debatte über Israel und Gaza hat sich in Deutschland in den letzten Monaten weiter radikalisiert – differenziert wird kaum noch. Moral wird zur Parole, und wer dazwischen steht, wird in eine von zwei möglichen Seiten hineingedrängt.
Im Achten Tag spreche ich diese Woche mit Ronen Steinke. Er arbeitet seit Jahren in und mit diesem Spannungsfeld. Als Journalist, Jurist, als jüdischer Deutscher – und als jemand, der sich die Freiheit nimmt, frei zu sein.
Ronen Steinke an Bord der Pioneer One © Anne Hufnagl43 Prozent der Deutschen glauben, dass die Politik Israels gegen die Palästinenser mit dem Holocaust vergleichbar sei. Das ist völlig absurd.
Wir sprechen über Kritik an einer Regierung, die Kriegsverbrechen begeht, über Staatsräson und Schuldverwaltung, über Versöhnungstheater und falsche Freundschaften.
Und natürlich haben wir auch darüber gesprochen, wie es Ronen selbst damit geht, in diesem Land jüdisch zu sein – in diesen Zeiten. Ich möchte Ihnen diese Folge ans Herz legen – Ronen gelingt der Balanceakt zwischen klarer Kritik und differenzierter Betrachtung wie wenig anderen.
Diese Folge können Sie sich auch auf Youtube anschauen: Tippen Sie auf das Bild, um zum Videopodcast zu gelangen.
Der 8. Tag mit Ronen Steinke – jetzt auf Youtube.Und wer lieber liest, gelangt hier zur schriftlichen Version.
Wenn Sie in Berlin oder München leben, haben Sie die kobaltblauen To-Go-Becher und Markisen bestimmt schon entdeckt: Wie Pilze schießen LAP Coffees aus dem Boden – auch in Hamburg soll sich die Art nun weiter ausbreiten.
Machen Sie es sich gemütlich - in den LAP Stores in Charlottenburg.Die Abkürzung LAP steht für „Life among people”, die Cafés sind vor allem eins: Instagramable. Bestellt wird der Strawberry Cloud Matcha, bei dem die Frage natürlich völlig berechtigt ist, was in Gottes Namen das sein soll, aber zum Glück ist das Getränk gar nicht das Wichtige, sondern die Kulisse. Es kommt weniger auf das an, was man vor Ort kauft, und mehr auf das, was man daraus selbst inszeniert: Gekauft, fotografiert, hochgeladen – ich poste, also bin ich. Die blaue Markise ist das Wiedererkennungsmerkmal einer urbanen Szene, die sich auf der Jagd nach Originalität häufig in Uniformität wiederfindet.
Lap Coffee ist das Gegenmodell zur Wiener Kaffeehauskultur, zur türkischen Kaffee-Tradition, zur italienischen Kaffeebar. Das minimalistische, man könnte auch sagen: das sterile und ungemütliche Interieur der kleinen Läden ist eine Traurigkeit für sich. Man kommt nicht umhin, sich im Hallenbad zu wähnen.
Wenn Sie auf das Bild tippen, können Sie meine ehrliche Reaktion auf die LAP-Getränke sehen.Dass LAP so erfolgreich ist, liegt an klugem Social-Media-Marketing. Ob Adidas, die Datingapp Hinge oder Künstleragenturen – die Formate dieser Kollaborationen sind vielfältig und reichen von Pop-up-Events und Running Clubs über exklusive Produktlaunches und Rabattaktionen. Begleitet werden sie von Influencern.
Wir alle wissen, Hypes verschwinden so schnell, wie sie entstanden sind. Wir könnten den Zenit der Lap-“Cafés” bereits erreicht haben.
Ich selbst habe heute den eingangs erwähnten Strawberry Cloud Matcha probiert – wie das aussah? Sehen Sie selbst.
Geld, Bars, Bordelle – die Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny von Kurt Weill und Bertolt Brecht führt tief hinab.
Drei Gauner gründen eine Stadt, die dem Vergnügen und der Freiheit unterworfen ist. Sie wächst schnell, denn die Zugezogenen und Besucher sind auf der Suche nach dem großen Glück. Es gibt nur ein Verbot: Kein Geld zu haben. Solidarität und Moral verpuffen im Exzess, die Menschen verlieren sich im Saufen und Essen, in Lust und Gewalt, die Stadt wankt ins Chaos.
In ihrem 1930 uraufgeführten Opus zelebrieren Weill und Brecht Kapitalismuskritik. Die Uraufführung in Leipzig wurde von Mitgliedern der NSDAP unterwandert, sie provozierten einen derartigen Tumult, dass die Vorstellung nur mit Mühe und Not zu Ende gespielt werden konnte.
In diesem Sommer verkommt die Deutsche Oper zur Stadt Mahagonny: Dort inszeniert Benedikt von Peter die Oper nicht nur auf der Bühne, sondern im ganzen Haus, sodass das Publikum in den Unterhaltungswahnsinn mit hineingezogen wird. Wir glauben: Das wird ein Fest – ein schlimmes!
...Franziska Giffey.
Ich weiß, Sie wundern sich jetzt. Franziska Giffey? Die Frau, die es geschafft hat, nach mehr als zwei Jahrzehnten sozialdemokratischer Landesregierung in der Hauptstadt das Rote Rathaus an die CDU abzugeben?
Die bei der Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2023 mit 18,4 Prozent erneut (!) das schlechteste Wahlergebnis in der Geschichte der Berliner SPD eingeholt hat? Ja, die Franziska Giffey.
Denn ganz ehrlich: Ich glaube, Franziska Giffey weiß gar nicht, dass sie nicht mehr Regierende Bürgermeisterin ist. Achten Sie doch mal bitte auf ihre Auftritte. Sie schreitet mit der gleichen staatsmännischen Gravitas durch Berlin wie vor ihrer Abwahl. Und ja, natürlich hat man auch als Wirtschaftssenatorin Reden zu halten, Empfänge zu besuchen, zeremonielle Eröffnungsbänder zu durchschneiden – und doch, es ist eine besondere Präsenz, die Giffey seit ihrem Ausscheiden aus dem Amt der Regierungschefin ungetrübt weiter aufrechterhält.
Auf Fotos, die sie mit dem eigentlichen Regierenden, Kai Wegner, zeigen, strahlt sie ihn an die Wand – wer hier Köchin und wer Kellner ist, darf man der Interpretation überlassen.
Wer von den beiden regiert eigentlich? Franziska Giffey oder Kai Wegner? © ImagoZwar hat Giffey jüngst das Gerücht dementieren lassen, sie würde zur Halbzeit der brandenburgischen Landesregierung dorthin wechseln und Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) im Amt ablösen, aber: Erstens haben politische Dementi eine Halbwertszeit wie die von Polonium-214 (sehr gering, für Sammler von unnützem Wissen: Halbwertszeit von 0,16 Millisekunden), und zweitens wissen wir: Wenn es eine Branche gibt, in der sich genussvolle Renitenz auszahlt, dann ist es die Politik.
Mausige Stimme hin oder her: Die Betonfrisur sitzt, das präsidiale Lächeln auch. Franziska Giffey steht noch eine große Zukunft bevor, mark my words.
Heinrich Deichmann ist Europas größter Schuhhändler. Sein Unternehmen hat im vergangenen Jahr einen Umsatz von knapp neun Milliarden Euro gemacht. Heinrich Deichmann ist aber viel mehr als der Chef eines Handelsunternehmens.
Er ist überzeugter Christ, hat Theologie studiert, und will die christlichen Werte auch in den Firmenalltag transportieren – im Umgang mit seinen Mitarbeitern, mit seiner Kundschaft und auch als jemand, der notleidenden Menschen hilft. Frank Dopheide hat mit Deichmann vor Publikum auf unserem Medienschiff Pioneer Two in Köln gesprochen.
Das Gespräch mit einem Mann, der so gar nicht in das Raster eines Firmenchefs zu passen scheint, finden Sie hier und in unserer App.
Ich wünsche Ihnen eine belesene Woche.
Auf sehr, sehr bald.
Ihre Juli Zeh