Wenn Donald Trump am 20. Januar zum 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten vereidigt wird, wird auch der Chef eines der wichtigsten Traditionskonzerne Deutschlands dabei sein. Bayer-CEO Bill Anderson hat eine Einladung zur Inauguration in Washington erhalten und wird an den Feierlichkeiten teilnehmen. Das erfuhr The Pioneer aus Aufsichtsratskreisen.
Anderson steht ein schwieriges Jahr bevor. Womöglich das alles entscheidende Jahr. Er muss seinen Aktionären und dem obersten Kontrollgremium eine nachhaltige Lösung gegen das Gylphosat-Disaster präsentieren, das zu einer existenziellen Bedrohung für das Unternehmen geworden ist.
Dabei könnte dem gebürtigen Texaner der wiedergewählte US-Präsident Trump behilflich sein - und eine Grundsatzentscheidung der US-Justiz.
Dem Bayer-Chef läuft die Zeit davon. Seit Andersons Amtsantritt im Juni 2023 ist der Aktienkurs des Mischkonzerns um rund 61 Prozent gefallen und liegt nur noch bei rund 20 Euro. Bayer war vor der Übernahme des Glyphosatherstellers Monsanto 2016 wertvoller als Siemens und die Deutsche Telekom. Heute liegt das Unternehmen mit seiner Marktkapitalisierung von rund 20 Milliarden Euro auf dem 30. Platz im deutschen Leitindex.
Eine Infografik mit dem Titel: Mehr als 60 Prozent Absturz
Verlauf des Aktienkurses von Bayer seit Amtsantritt von Bill Anderson am 1.6.2023, in Euro
Um die Klagewelle zu brechen, unternimmt Bayer einen neuen Versuch beim höchsten US-Gericht. „In wenigen Wochen werden wir einen Antrag auf Prüfung beim Supreme Court stellen“, bestätigt der Konzern auf Anfrage von The Pioneer. Man entscheide noch, welchen der bereits verhandelten Fälle man dem Gericht zur Revision vorlege.
Geprüft werden solle vom obersten Gerichtshof, ob das Bundesrecht Glyphosat-Klagen auf Basis des Rechts von einzelnen US-Staaten ausschließt. Das ist bisher unklar, wodurch Bayer in einer rechtlichen Misere steckt.
Kläger werfen der Bayer-Tochter Monsanto vor, auf den Packungen des Unkrautvernichters Roundup nicht ausreichend vor den Krebsrisiken von Glyphosat zu warnen. Die US-Gesundheitsbehörde EPA wiederum verbietet Pflanzenschutzherstellern, ihre Produkte mit dem Hinweis zu kennzeichnen, Glyphosat sei krebserregend. Denn die EPA stuft Glyphosat als unbedenklich für den Menschen ein.
Bayer-Konzernsprecher Philipp Blank sagt:
Wenn eine Bundesbehörde, die für die Zulassung eines Produkts zuständig ist, sagt, dass ein Produkt sicher ist, dann kann es nicht sein, dass wir hinterher verklagt werden, weil wir nicht ausreichend gewarnt hätten.
Frühestens im Sommer, spätestens im Herbst hofft Bayer auf eine Entscheidung des Supreme Courts, ob dieser sich mit dem Fall beschäftigt oder nicht. Sollte der Gerichtshof den Fall annehmen, sei in der Sitzungsperiode 2025/26 mit einer endgültigen Entscheidung zu rechnen.
Bayer hatte bereits unter Andersons Vorgänger Werner Baumann 2022 den Versuch unternommen, den Supreme Court zu einer Grundsatzentscheidung zu bewegen und war gescheitert. Die damalige demokratische Regierung unter Joe Biden und deren Generalstaatsanwältin empfahl dem Gericht, sich nicht mit dem Glyphosat-Fall zu beschäftigen.
Nun sind die Dinge anders gelagert als damals. Markus Manns, Fondsmanager von Union Investment, dem größten deutschen Bayer-Aktionär, sagt:
Wenn ein republikanischer Generalbundesanwalt zur Stellungnahme beim Supreme Court gebeten wird, könnte dessen Statement diesmal zugunsten von Bayer ausfallen.
Bayer selbst bestätigt: „Die Chancen stehen besser, dass sich das Gericht mit unserem Fall befasst.“ Denn in den vergangenen Monaten kam es zum sogenannten Circuit Split. Mehrere Berufungsgerichte haben unterschiedlich in der Frage entschieden, die Bayer prüfen lassen will. Das könnte den Supreme Court zu einer Klärung veranlassen. Derzeit sind noch 63.000 Forderungen von Klägeranwälten offen. Immerhin: Die Anstrengungen der Klägerindustrie gegen Bayer sind im letzten Jahr etwas zurückgegangen.
Die Anzahl von Werbespots, die Anwaltskanzleien schalten, um potenzielle Glyphosat-Opfer für Massenklagen gegen Bayer zu finden, halbierte sich im Vergleich zum Vorjahr. Und auch die Ausgaben für Werbung verringerten sich, wie exklusive Auswertungen der amerikanischen Analyseplattform X Ante für The Pioneer zeigen.
Eine Infografik mit dem Titel: Opfer-Rekrutierung über Werbung
Anzahl der TV-Spots im US-Fernsehen, mit denen potenzielle Roundup-Geschädigte für Klagen gesucht werden, und die geschätzten Ausgaben für die TV-Spots im Verlauf der Jahre, in US-Dollar
Um den US-Klägern Wind aus den Segeln zu nehmen, hat Bayer Glyphosat als Wirkstoff bereits vom Privatkundenmarkt in den USA genommen. Nun baut der Konzern zusammen mit Bauernverbänden das Drohszenario auf, dass Bayer wegen der Klagen seine Glyphosatproduktion künftig ganz einstellen könnte. Dann bliebe nur noch China als Lieferant.
Tatsächlich gibt es weltweit vier große Hersteller von Glyphosat. Neben Bayer in den USA sind das die drei chinesischen Konzerne Wynca, Fuhua und Nantong Jiangshan. Mehr als 50 Prozent der weltweiten Produktionskapazitäten für Glyphosat befinden sich in China.
Ursprünglich stellte nur die US-Firma Monsanto, die Bayer 2018 übernahm, Glyphosat her. Seit der Patentschutz im Jahr 2000 ablief, haben sich vor allem Chemieunternehmen in China auf die kostengünstige Massenproduktion von Generika spezialisiert.
Maispflanzen in einem Gewächshaus von Bayer im US-Bundesstaat Arizona © Claudia ScholzBayer setzt auf die Karte seiner Systemrelevanz für die USA und dürfte besonders bei Trump und den Republikanern einen Nerv treffen, die zu einem Großteil von Landwirten gewählt wurden. Wenn auch die Abhängigkeit von China parteiübergreifend verpönt ist, so will Trump eine noch härtere Gangart gegenüber China fahren als Biden.
Trump kündigte bereits an, dass er chinesische Produkte mit höheren Zöllen belegen und die heimischen Unternehmen und deren Produktion schützen wolle.
Mitarbeiter von Bayer in den USA haben im Vorfeld der US-Wahl mehrheitlich die Republikaner unterstützt. Das lässt sich anhand von Spendenzahlen von sogenannten Political Action Committees (PAC) ablesen. Die US-amerikanischen Niederlassungen ausländischer Unternehmen können solche PACs gründen und Spenden von ihren Mitarbeitern einsammeln.
Das PAC von Bayer spendete dieses Jahr rund 200.000 US-Dollar. Mit 60 Prozent der Gelder wurden republikanische Kandidaten bedacht.
Eine Infografik mit dem Titel: Mehr Geld für Trumps Partei
Spenden politischer Aktionskomitees aus dem Umfeld deutscher Konzerne an US-amerikanische Kandidaten im Jahr 2024, in US-Dollar
Unter den Spendern des PACs findet sich auch Bayer-Vorstandsvorsitzender Bill Anderson selbst - übrigens der einzige US-Amerikaner an der Spitze eines Dax-Konzerns. Der 58-Jährige hat dem PAC laut den offiziellen Daten der Federal Election Commission im Februar den Jahreshöchstbetrag von 5.000 Dollar zukommen lassen, genau wie seine Ehefrau Catherine Anderson.
Union Investment-Fondsmanager Manns gibt zu bedenken: „Bayer macht sehr viel Umsatz mit Glyphosat. Dass der Konzern das jetzt einfach einstellt, glaube ich nicht.“ Der Konzern werde erstmal über die Lobby der Landwirte versuchen, durch Gesetze eine größere Rechtssicherheit zu schaffen.
Beispielsweise im nationalen Agrargesetz, der „Farm Bill“, deren Neufassung im Herbst diesen Jahres ansteht. Bayer versucht den Kongress zu bewegen, in das Gesetz die Glyphosat-Regulierung der Gesundheitsbehörde EPA zu verankern. Die Mehrheit im Kongress haben die Republikaner und könnten hier zugunsten von Bayer entscheiden.
Hinter den Kulissen verfolgt der Daxkonzern zudem ein heikles juristisches Manöver. Mit einem Insolvenztrick, der Texas Two Step genannt wird, könnte er theoretisch die Monsanto-Tochter, an der die Klagen hängen, zur Bad Bank machen und dann pleite gehen lassen. Allerdings ist der Plan so unsicher wie umstritten.
Fondsmanager Manns ist überzeugt:
Eine Art Texas Two Step-Verfahren wird man als letzte Möglichkeit versuchen, wenn alle anderen Strategien ausgeschöpft sind. Man muss vor allen Dingen einen Richter finden, der das absegnet.
Schaut man auf die letzten Jahre, könnte man Bayer in die Kategorie der „Fallen Angels“ an der Börse einordnen, der gefallenen Engel. Michael Wittek, Portfolioleiter bei der Albrecht, Kitta und Co. Vermögensverwaltung sagt: „Die Historie zeigt, dass viele dieser Werte dem Aktienmarkt jahrzehntelang hinterherlaufen.“
Ob Bayer langfristig dazugehöre oder nicht, hänge maßgeblich von einem sichtbaren Ende der Rechtsstreitigkeiten ab. Wer auf einen positiven Ausgang setze und noch nicht investiert sei, habe laut Wittek jetzt die Gelegenheit, „90 Prozent unter dem Höchstkurs zu kaufen“. Wahr ist aber auch: Sämtliche Hoffnungen auf Besserung bei den Klagen bestehen schon seit mehreren Jahren.
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