Haushalt 2025

Der deutsche Staat: eine Vermögensbilanz

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 © The Pioneer / Julian Sander

Der Streit um die Schuldenbremse wird zur Zerreißprobe für die Ampel-Koalition – und zum Startpunkt für eine grundsätzliche Frage: Wie reich ist die Bundesrepublik?

Christian Lindner hat Verständnis für die Frage, aber keine Antwort. Ihm fehle noch ein Überblick über die Ausgabenwünsche seiner Kollegen, sagte der Finanzminister in einer Diskussionsrunde in der baden-württembergischen Landesvertretung. Aber er könne ja nachvollziehen, dass „so ein Datum elektrisiert“. Bis 2. Mai musste jedes Ressort den Etat 2025 melden. Lindner erwartet „eine geräuschvolle Debatte“.

Krach würde es besser bezeichnen. Denn die Regierung ist sich in Wahrheit nur in einem einig: dass sie uneinig ist. FDP-Chef Lindner will sparen, Vize-Kanzler Robert Habeck mehr ausgeben. Der Haushalt 2025 wird zur Gretchenfrage: Wie hält es die Regierung mit der Schuldenbremse?

Daran könnte die Ampel-Regierung zerbrechen, sagt ein ranghohes Regierungsmitglied. Im Kern geht es um die Frage: Hat Deutschland zu wenig Einnahmen (SPD und Grüne)? Oder schlicht zu hohe Ausgaben (FDP)? Im Zuge dieser Grundsatzdebatte wird eine andere Frage fast ausgeblendet: Wie reich ist der Staat eigentlich? Und wäre es nicht sogar möglich, bestimmte Vermögensposten anzuzapfen?

The Pioneer macht den Kassensturz – und kommt zum Ergebnis: Dem deutschen Staat gehören tausende Wohnungen, dutzende Unternehmen und er sitzt auf Milliarden von Cash und Gold. Einige Reserven sind sinnvoll, aber sicher nicht alle.

Die Ampel-Koalition © dpa

Zur Wahrheit gehört aber auch: Assets zu verkaufen, macht den Staat schlanker, aber löst eine Haushaltskrise nur eingeschränkt. Dazu später mehr.

Der Haushaltsdruck ist entstanden, weil das Bundesverfassungsgericht im November 2023 ein wegweisendes Urteil fällte – und die Umgehung der Schuldenbremse über Sondervermögen für unzulässig erklärte. Für 2024 fehlten plötzlich 17 Milliarden Euro. 2025 sind es mindestens 25 Milliarden.

Dass jeder Minister und jede Ministerin lieber mehr Geld ausgeben will, bestätigte eine alte Weisheit des österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter:

Eher legt sich ein Hund einen Wurstvorrat an als eine demokratische Regierung eine Budgetreserve.

Ökonom und Harvard-Professor Joseph Schumpeter (1883–1950) © Harvard University

Die Verfassung engt den Spielraum aber ein. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse genehmigt nur neue Schulden in Höhe von 0,35 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Für die „Koalition der Widersprüche” (SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert im April) birgt das politischen Sprengstoff.

Möglicherweise gibt es einen dritten Weg. Einer, der zwar nicht ganz so trivial ist, obwohl er zunächst trivial erscheint. Die Bundesrepublik ist reich – so reich, dass die fehlenden Haushalts-Milliarden verschwindend gering erscheinen. Der Bund verfügt über Vermögenswerte – im Finanzjargon: Assets – wie Aktien, Anleihen, Immobilien oder Gold, deren Veräußerung in Betracht gezogen werden könnte.

Das hebelt die Schuldenbremse zwar nicht aus. Aber ein Aktivtausch könnte neue Spielräume eröffnen – so wie zuletzt geschehen: Erst im Februar verkaufte der Bund Anteile an der Deutschen Post für rund zwei Milliarden, um die Bahninfrastruktur zu sanieren.

The Pioneer hat vier Vermögenssparten des Staates untersucht – und Ökonomen und Politiker dazu befragt:

#1 Bargeld und Einlagen – Wert: 115 Milliarden Euro

Zur Finanzierung des alltäglichen Regierungs- und Verwaltungsgeschäfts – Förderprogramme, Bürgergeld, Dienstreisen – hält die Regierung stets Liquidität bei Kreditinstituten, inländischen und ausländischen Banken. Zum Jahresende 2022 (aktuellste Zahlen) befanden sich auf diesen Konten Bargeld und Einlagen im Wert von 115 Milliarden Euro. Das geht aus Daten des Statistischen Bundesamtes hervor, die die Statistiker bei Bund, Ländern und Kommunen abfragen.

Wofür der Bund diese Gelder verwenden möchte, erfragt das Statistische Bundesamt nicht. Klar ist jedenfalls, dass er damit die Regierungsgeschäfte am Laufen hält.

Wie viel Geld vorgehalten wird, ist letztlich eine politische Entscheidung. So verringerte sich der Barbestand bereits von 2021 zu 2022 um 33,9 Prozent. Denn der Bund muss keine Mittel mehr zurückhalten, um die Hilfspakete zur wirtschaftlichen Bewältigung der Corona-Pandemie zu finanzieren.

Es ist darum wahrscheinlich, dass das Finanzvermögen seit Ende 2022 weiter schrumpfte. Denn aktuelle Krisenpakete muss die Regierung nicht stemmen. Darum: Schmilzt sie die Cashbestände weiter ab, könnte sie damit fehlende Teile des Haushalts abdecken.

Die neuen Zahlen zum Finanzvermögen per Ende 2023 werden erst im September veröffentlicht.

#2 Wertpapiere und Beteiligungen – Wert: 288 Milliarden Euro

Sollte der Bund zum Schluss kommen, dass die Finanzierung des täglichen Geschäfts durch ein Abschmelzen der Cashbestände in Gefahr gerät, kann er auch Wertpapiere und Beteiligungen verkaufen. Auch diese Bestände hat das Statistische Bundesamt abgefragt. Sie zeigen: Zum Jahresende 2022 hielt der Bund Wertpapiere – in den überwiegenden Fällen Staatsanleihen – im Wert von 68 Milliarden Euro. Dabei handelt es sich um langfristige Papiere mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr.

Daneben hält der Bund im großen Stil Beteiligungen an staatlichen Unternehmen. Ihr Wert summiert sich auf 59 Milliarden Euro. Das sind etwa die staatseigene Beratungsgesellschaft PD – Berater der öffentlichen Hand mit 700 Beratern, diverse Kunststiftungen und Kultureinrichtungen sowie die 2009 verstaatlichte Hypo Real Estate. Auch die Deutsche Flugsicherung gehört beispielsweise dazu.

Schild: PD – Berater der öffentlichen Hand © imago

Darüber hinaus ist der Staat auch an Privatunternehmen beteiligt. Ihr Wert beläuft sich auf 161 Milliarden Euro. Prominente Beispiele sind die Anteile des Bundes an der Commerzbank und der Telekom. Allein diese beiden Staatsbeteiligungen haben zusammen einen Wert von knapp 35 Milliarden Euro.

Der Grund für die Firmenbeteiligungen: Häufig sind sie historisch gewachsen, wie etwa bei Telekom, Post und Deutsche Bahn. Alle Konzerne waren früher einmal Behörden. Ein anderer Grund: Die Commerzbank-Anteile etwa gingen im Zuge einer Rettungsaktion während der Finanzkrise an den Staat.

Vor allem die Telekom-Aktien erwirtschafteten dem Bund in den zurückliegenden Jahren eine starke Rendite. Würde die Ampel wie ein Investor auf diese Aktien blicken, könnte sie hier „Gewinne mitnehmen“.

Eine Infografik mit dem Titel: Höhenflieger, Tiefflieger

Entwicklung der Aktienkurse der Commerzbank und der Deutschen Telekom seit 2009, Werte indexiert

Im Beteiligungsbericht nennt das Bundesfinanzministerium mögliche weitere Veräußerungen. So würde für die Flughafen München GmbH, die Flughafen Köln/Bonn GmbH und die Internationale Mosel-Gesellschaft mbH kein „wichtiges Bundesinteresse“ bestehen. Gemäß der Haushaltsordnung wird die Beteiligung darum „geprüft“, heißt es im Bericht.

#3 Liegenschaftsvermögen – Wert: 18,1 Milliarden Euro

Daneben verwaltet der Bund über die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) 18.700 Grundstücke und Immobilien, darunter 5.100 Dienstliegenschaften. Sie haben insgesamt einen Wert von 18,1 Milliarden Euro. Das sind etwa Verwaltungsgebäude der Ministerien und Oberen Bundesbehörden sowie die Bundeswehrliegenschaften.

Viele Liegenschaften sind eher symbolisch staatstragend. So gehört dem Bund zum Beispiel das Grandhotel Petersberg in Königswinter bei Bonn. Das erstklassige 5-Sterne-Hotel mit mehr als 100 Zimmern und Blick auf den Rhein wird von den Steigenberger Hotels betrieben. Außerdem ist der Staat auch immer wieder Gastgeber der Berlin Fashion Week: Das Kronprinzenpalais an der Berliner Prachtstraße Unter den Linden gehört ebenfalls dem Bund und wird von ihm regelmäßig als Eventspace vermietet.

Der Steuerzahler macht es möglich: 5-Sterne Steigenberger Grandhotel & Spa Petersberg

Auch Schlösser sind im Besitz des Bundes. Das Schloss Hohenaschau an der bayrisch-tirolischen Grenze ganz im Süden der Bundesrepublik wird vom Staat als Ferien- und Erholungsheim genutzt.

Doch besitzt der Bund nicht nur Statusobjekte. Er baut und verwaltet auch Wohnungen. 38.000 Wohnungen werden durch die BImA verwaltet. Im Rahmen der Wohnungsfürsorge stellt der Bund seinen Bediensteten so vergünstigten Wohnraum in der Nähe ihres Dienstortes zur Verfügung. Noch vor zehn Jahren galt es als sicher, dass die BImA ihre Wohnungen verkaufen sollte, um sich auf ihre Kernaufgabe zu konzentrieren – die Verwaltung wichtiger Immobilien wie Ministerien und Bundeswehrliegenschaften.

Zu Milliardeneinkünften aus dem Wohnungsverkauf kam es aber nicht. Die eskalierenden Mietpreise setzen auch den Beamten zu und von den Privatisierungsideen wurde Abstand genommen, um sie vor hohen Preisen zu schützen. Noch heute hält der Bund genau so viele Wohnungen wie vor zehn Jahren.

Doch die Hoffnung auf die schützende Vermieterhand des Staates wurde enttäuscht: fast 20 Prozent der Bundeswohnungen stehen leer. Der Markt regelt den Leerstand deutlich besser: In ganz Deutschland liegt die Leerstandsquote bei nur 2,5 Prozent. Was wäre also, wenn der Bund die alten Privatisierungspläne wieder aus der Schublade holt? Genaue Angaben über den Wert des Wohnungsbestandes sind nicht öffentlich. Man kann sich dem Wert des Wohnungsbestandes aber nähern. Gut neun von zehn Wohnungen wurden vor den 1970ern gebaut. Nimmt man eine durchschnittliche Wohnungsgröße dieser Zeit von circa 70 Quadratmeter an und einen aktuellen Durchschnittspreis von 3.200 Euro pro Quadratmeter, ergibt sich daraus ein Wohnungsvermögen von 8,5 Milliarden Euro. Mit Blick auf den Leerstand von knapp 20 Prozent, sitzt der Staat auf ungenutzten Wohnungen im Wert von knapp 1,7 Milliarden Euro.

Eine Infografik mit dem Titel: Betongold

Entwicklung der Angebotspreise für Eigentumswohnungen pro Quadratmeter seit 2004

Die Pläne der Bundesregierung laufen aber in die entgegengesetzte Richtung. Trotz des schlechten Track-Records soll der Wohnungsaufbau weitergehen. Bis 2030 will der Bund bis zu 8.000 neue Wohnungen bauen. Wie die BImA The Pioneer gegenüber mitteilt, belaufen sich die Kosten für den Steuerzahler auf 1,5 Milliarden Euro.

#4 Reserven bei der Bundesbank – Wert: 312 Milliarden Euro

Zu guter Letzt gibt es immer wieder Stimmen, die fordern, auf die Reserven der Bundesbank zurückzugreifen. So hat etwa der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke gegenüber Bild gesagt:

Um die Zukunftsinvestitionen zu stemmen, sollten wir auf einen Teil unserer Goldreserven zurückgreifen.

Der Blick auf die Währungsreserven der Bundesbank legt nahe: Ende März summierten sie sich auf einen Wert von 312 Milliarden Euro. 220 Milliarden Euro (70 Prozent) davon entfallen auf die Goldreserven.

Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts © imago

„Das ist schon eine Hausnummer“, sagt Chef-Ökonom des ifo Instituts Clemens Fuest. Man müsse diskutieren, inwiefern die Goldreserven für das Vertrauen in die Währung nötig sind. Aber: „Die Reserven geben der Notenbank natürlich auch Spielräume in der Geldpolitik.“

Aber: Die Bundesbank ist eine unabhängige Behörde. Zwar verwaltet sie die Reserven treuhänderisch für die Bundesrepublik. Durch diverse nationale und europapolitische Gesetze ist sie aber vor dem Zugriff übergriffiger Regierungen geschützt. Eine Anweisung zum Verkauf des Goldes dürfen die Geldhüter verweigern. Und auch freiwillig wird die Bundesbank den Haushalt nicht unterstützen. Auf Anfrage von The Pioneer heißt es von der Bank klar:

Ein Einsatz der Goldreserven zur Finanzierung von Haushaltslücken ist nicht vorgesehen.

Ob diese Sperre ewig Bestand hat, ist nicht so klar, wie die Bundesbank es darstellt. Denn es sind Initiativen vorstellbar, um auf europäischer Ebene die Unabhängigkeit der Notenbanken zu begrenzen. Dass ein liberaler Finanzminister Christian Lindner einen solchen Schritt geht, ist unwahrscheinlich. Allerdings hätte ein potenzieller Nachfolger Lindners in Italien und Frankreich sicherlich Verbündete für solch ein Vorhaben.

Tatsächlich veräußert die Bundesbank aber seit dem Jahr 2000 jährlich drei bis neun Tonnen Gold an den Bund. Dieser druckt damit Gedenkmünzen.

Eine Infografik mit dem Titel: Der deutsche Goldschatz

Goldreserven bei der Bundesbank in Tonnen seit 1950

Damit stehen allein diese vier Bereiche für ein Vermögen in Höhe von 733 Milliarden Euro – mehr als das 36-Fache dessen, was die Ampel zur Schließung ihrer Haushaltslücke benötigt.

Nun allerdings wird es kompliziert. Theoretisch könnte der Staat Assets verkaufen und die Erlöse in sinnvolle Projekte investieren. Aber: Die Schuldenbremse bliebe davon unberührt.

Der Verkauf etwa von Bundesanteilen an Post oder Telekom gilt als finanzvermögensneutraler Vorgang, bei dem ein Tausch von Beteiligungsvermögen gegen Kassenzugang beziehungsweise Privatisierungserlös erfolgt.

Das heißt: Der Staat tauscht Firmenanteile gegen Cash. Das Vermögen des Staates hat sich dadurch nicht verändert.

Das wiederum heißt: Privatisierungseinnahmen können nicht dafür benutzt werden, um mehr Schulden zu machen.

Otto Fricke (FDP), dienstältester Haushälter im Bundestag, sagt dazu:

Der Verkauf von sogenanntem Tafelsilber wird mit der nach der Schuldenregel zulässigen Verschuldung verrechnet, sodass dadurch kein zusätzlicher Spielraum für den Haushalt 2025 gewonnen werden kann.

Der Haushalt 2025 erfordere daher „eine echte Konsolidierung der Ausgaben“.

Otto Fricke © dpa

Weiter sagt Fricke: „Privatisierungserlöse können jedoch ein Instrument sein, wenn man damit andere Beteiligungen stärken will, wie etwa die Deutsche Bahn oder das Generationenkapital.“

Und dann wird doch wieder ein Schuh draus: Wenn etwa durch den Verkauf von Post-Anteilen die Bilanz der Deutschen Bahn gestärkt würde, könnte der Staat über diesen Weg Investitionen in das Schienennetz hebeln.

Ökonom Clemens Fuest hält es grundsätzlich für sinnvoll, Staatsbeteiligungen zu überprüfen. „Es geht um Effizienz“, sagt Fuest. „Es ist eine ordnungspolitische Frage: Wer kann besser ein Objekt managen: der Staat oder die Privatwirtschaft?“

Zu viele staatliche Vermögenswerte sieht der Ökonom kritisch, „weil wir dann eine Art Staatswirtschaft sind“. Der Staat sollte demokratisch und im Interesse der Bürger handeln. Also lieber Vermögenswerte reduzieren und dafür die Steuern für die Bürger senken. Somit sei der Reichtum demokratischer verteilt. Daher könnte der Staat sein Vermögen verkaufen und „damit dann die Steuern für die Bürger senken“.

Fazit

Der Haushaltsstreit der Bundesregierung kann durch Veräußerung von Vermögenswerten nur bedingt befriedet werden. Aber der Zwist wäre ein guter Zeitpunkt, den ein oder anderen Posten grundsätzlich infrage zu stellen.