Im Lateinunterricht führte an Ovids „Metamorphosen“ kein Weg vorbei. Zur Zeit des Kaisers Augustus fasste der römische Dichter darin mehr als 200 antike Mythen in Versform. Ein Stoff hat die Kunst- und Opernwelt besonders nachhaltig inspiriert: Die Geschichte des Sängers Orpheus, der mit seinem betörenden Gesang die Götter der Unterwelt besänftigt, um seine geliebte Eurydike ins Leben zurückzuführen.
Seit Claudio Monteverdis „L’Orfeo“ (1607) gilt der Mythos als Gründungsakt der Operngeschichte; Christoph Willibald Gluck lieferte 1762 mit „Orfeo ed Euridice“ eine Neuauflage im Wiener Burgtheater. In diesem Sommer greifen ihn die Salzburger Festspiele wieder auf: „Hotel Metamorphosis“ verknüpft in collageartiger Form Musik von Antonio Vivaldi mit Ovids Dichtung; als roter Faden dient der Orpheus-Stoff.
„Hotel Metamorphosis“ bei den diesjährigen Festspielen in Salzburg © Salzburger Festspiele/Monika RittershausWarum aber fasziniert Orpheus die Kunstwelt bis heute? Vielleicht ist es die Tatsache, dass er trotz seiner übermenschlichen Fähigkeiten letztlich doch allzu menschlich ist. Sein Gesang ist so schön, dass er damit den Höllenhund Cerberus zum friedlichen Schnaufen bringt und selbst der arme Sisyphos seinen Felsbrocken für einen Moment liegen lässt, um der Musik zu lauschen.
Und doch scheitert er an einer Schwäche: dem Zweifel. Pluto, der Herrscher des Totenreichs, gewährt ihm und seiner geliebten Eurydike eine zweite Chance. Sie darf ihm zurück in das Reich der Lebenden folgen – allerdings nur, wenn Orpheus auf dem langen Weg hinauf kein einziges Mal hinter sich blickt, um sich ihrer Anwesenheit zu versichern. Beinahe am Ziel, als er das Sonnenlicht schon sehen kann, erliegt er der Versuchung.