Interview mit Investor Harald Christ

„Es ist keine Lösung, aus Angst die AfD zu wählen“

Er ist Investor, Berater und ein Netzwerker im politischen Berlin. Er war Mitglied bei SPD und FDP und analysiert die ersten 100 Tage der neuen Regierung. Hat die Regierung den deutschen Standort attraktiver gemacht? Und wo liegen die Probleme der Wirtschaft? Fragen an Harald Christ
Nils Heisterhagen
Heute
© Julia Zimmermann
© Julia Zimmermann

The Pioneer: Kann man den von der Regierung erhofften und behaupteten Stimmungsumschwung in der Wirtschaft tatsächlich wahrnehmen?

Harald Christ: Vor allem auf der Seite der internationalen Investoren ist er deutlich spürbar. Das Interesse an Europa und speziell an Deutschland ist spürbar gestiegen, vor allem aus den USA. Investiert wird verstärkt in Infrastruktur, Energie und den Mittelstand, was das Investitionsklima klar verbessert. Auch deutsche Unternehmen denken wieder stärker über Investitionen im Inland nach, nachdem sie zuvor eher den US-Markt im Blick hatten.

Noch mal stärker gesagt: Wo wir vor einem Jahr noch darüber diskutiert haben, dass alle sagen; „bloß raus aus Deutschland, wir orientieren uns stärker in die USA“, findet da jetzt auch gerade ein Umdenken statt. Wie weit sich das dann aber wirklich realisiert, das wird man abwarten müssen. Aber es gibt einen Stimmungsumschwung bei den Investoren und bei den Unternehmen.

Bei den privaten Haushalten hingegen zeigt sich dieser Aufschwung noch nicht – hier herrscht weiterhin Verunsicherung.

Kann man das steigende Investoreninteresse irgendwie quantifizieren?

Seriös messen lässt sich das nach nur drei Monaten Regierungszeit noch nicht. Aber man sieht an den großen internationalen Playern wie KKR, BlackRock oder Blackstone, dass sie sich klar zu Europa und speziell zu Deutschland bekennen. Allein die Tatsache, dass diese Investoren in Gesprächen und Interviews unisono von einer stärkeren Ausrichtung nach Deutschland sprechen, zeigt den Stimmungsumschwung. Politisch trägt dazu bei, dass die neue Regierung außenpolitisch sehr präsent ist und Deutschland international wieder als gestaltende Kraft wahrgenommen wird. Hinzu kommen die 500 Milliarden Sondervermögen für Infrastruktur und die erheblich ausgeweiteten Investitionen in Verteidigung und Sicherheit – das sind Signale, die international Eindruck machen. Und weil Investitionen stark auch Psychologie sind, wirkt dieses Bild eines handlungsfähigen, zukunftsorientierten Deutschlands als klare Zugkraft für Kapital.

Zwischen guter Stimmung und den Fundamentaldaten der Wirtschaft gibt es noch ein Gap. Darf sich die Regierung darauf wirklich ausruhen und mit dem Prinzip Hoffnung arbeiten?

Von einer durchgehend guten Stimmung kann man nicht sprechen, aber es gibt ein positives Momentum. Dass sich dieses Stimmungsbild schon in den harten Daten zeigt, ist nach nur 100 Tagen unrealistisch – erste Effekte sind frühestens nächstes Jahr zu erwarten. Zugleich ist klar: Manche Branchen wie Chemie oder energieintensive Industrien stehen zwar unter großem Druck, gleichzeitig entstehen in Bereichen wie Verteidigungsindustrie neue Wachstumschancen.

Ich möchte mit Blick auf den Mittelstand ein paar positive Dinge sagen: Der deutsche Mittelstand ist nach wie vor sehr stark – mit hoher Innovationskraft, internationaler Wettbewerbsfähigkeit und vielen Patenten. Diese Unternehmen aus dem Mittelstand sind teilweise enorm erfolgreich und verdienen auch ordentlich Geld. Also „Made in Germany“ pur, wenn man so will. Wir waren im Bereich Forschung und Entwicklung in 2024 europäisch auf Rang 4 - hinter Schweden, Finnland und den Niederlanden. Wir sind im Bereich der Patentanmeldungen weiterhin gut. 2023 wurden beim Europäischen Patentamt rund 25000 deutsche Patente registriert. Wir sind im Bereich der Investitionsausgaben für Forschung bei 3,1 Prozent vom BIP, das sind 129 Milliarden Euro. Das sind ein paar positive Fakten.

Trotzdem bleiben die bekannten Baustellen – zu viel Bürokratie, schleppende Digitalisierung, Fachkräftemangel, hohe Steuern und steigende Arbeitskosten. Genau da ist jetzt die Politik gefordert, damit aus guter Stimmung ein nachhaltiger Trend wird.

Wir brauchen eine KI-Industriepolitik

Der Unternehmer und Berater Harald Christ plädiert für eine neue KI-Industriepolitik.

Artikel lesen

Veröffentlicht von Harald Christ.

Artikel

Kann Deutschland sein exportorientiertes Geschäftsmodell „Made in Germany“ unter den neuen globalen Bedingungen noch aufrechterhalten?

Ja, ich bin davon überzeugt. „Made in Germany“ steht für hohe Qualität, Forschung, Entwicklung, Stabilität und viele neue Patente – und diese Stärke ist weiterhin vorhanden. Die Automobilindustrie investiert massiv in Software und Innovation, weil moderne Autos längst fahrende Computer sind. Natürlich gilt auch: Deutschland wird nie der billigste Produktionsstandort sein. Aber Stabilität und Sicherheit sind in unsicheren Zeiten ein entscheidender Standortvorteil, den Investoren sehr schätzen. Genau deshalb steigt das internationale Interesse an Deutschland. Zudem sind wir in Zukunftsfeldern wie Quantencomputing, Gentech, Biotechnologie oder Dateninfrastruktur weltweit vorne dabei. Wenn Unternehmen und Politik ihre Hausaufgaben machen, bleibt „Made in Germany“ auch künftig ein starkes Markenzeichen.

Nach den ersten 100 Tagen fordern viele Stimmen grundlegende Strukturreformen. Welche fünf Punkte wären für Sie entscheidend, um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu stärken?

Wir müssen unbedingt verhindern, dass die Personalnebenkosten weiter steigen, um Unternehmen Planungssicherheit zu geben. Steuerliche Entlastungen für die Mitte der Gesellschaft sind ebenso notwendig, weil sie auch die Binnennachfrage stärken. Bei der Rente vor allem brauchen wir eine ehrliche Debatte, die die Ansprüche der Jüngeren fair berücksichtigt, ohne die heutigen Rentner zu verunsichern. Und dann gibt es so ein paar Evergreens, die aber nicht weniger wichtig sind, dass es da endlich Lösungen gibt: Bürokratieabbau ist zentral, vor allem für kleine und mittlere Unternehmen, die unter hohen Auflagen besonders leiden. Auch die Regulatorik, vielfach aus Brüssel getrieben, muss kritisch überprüft werden, ob sie noch in die Realität passt.

Einen Punkt will ich besonders herausheben:

Wir müssen sehr viel mehr Wohnungen bauen, und zwar in allen Preisklassen. Und wenn das Angebot auf dem Wohnungsmarkt sich erhöht, werden sich automatisch auch die Preise wieder vernünftig bewegen. Dazu gehört es aber auch, dass wir bei den Baukosten runter bekommen und zusätzlich die Genehmigungen beschleunigen. Regulierung ist ein weiteres Thema. Wir haben die letzten Jahre durch immer mehr Regulatorik eine Baukostenübertreibung verursacht, wo man mittlerweile mit normalen Mieten überhaupt keine Refinanzierung der Investments mehr hinkriegt. Warum soll denn jemand da noch in Wohnungsbau investieren? Ich will sagen, warum ich hier den Bau hervorhebe: Das ist nach wie vor Deutschlands zweitgrößte Industrie. Das wird oft vergessen. Und bezahlbares Wohnen ist aus meiner Sicht eines der größten sozialen Konfliktfelder. Hier muss mehr passieren.

Wann endet die Geduld der Menschen mit der Politik, wenn die Wirtschaft nicht bald anzieht?

An alle, denen es nicht schnell genug geht, die Ängste haben, die aus welchen Gründen frustriert sind und auch gerade populistische Parteien wählen, denen will ich ganz klar sagen: Die AfD verbessert kein Problem, sondern sie verschlimmert es. Ich habe ja erzählt, wie wichtig Stabilität und Vertrauen für einen Wirtschaftsstandort wie Deutschland ist. Wenn wir hier instabile Verhältnisse bekommen – und ich nehme nur ein Beispiel: Etwa wenn wir Diskussionen bekommen, die Fachkräfte von außen abschrecken – , dann ist es sogar mehr brandbeschleunigend, als dass diese Partei irgendwas löst. Ich werde nicht müde, das den Menschen immer wieder zu sagen: Es ist keine Lösung aus Frustration, Angst oder aus einer Piss-off-Haltung heraus zu sagen: Ich wähle AfD. Dadurch wird nichts besser. Nein, es verschlimmert ein Problem. Das vorweggeschickt, bevor ich nun wirklich auf die Frage antworte.

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir im nächsten Sommer wieder Wirtschaftswachstum haben werden und eine bessere Ausgangssituation. Ich bin auch zuversichtlich, dass sich die Zollthematik mit den USA bis dahin gelöst haben wird. Es gibt ja schon gewisse Einigungen. Ich bin mir auch relativ sicher, dass auch Donald Trump, wenn er merkt, dass bei ihm die Inflation hochgeht und dass sich diese Zoll-Vereinbarung nicht nur positiv in den USA auswirkt, dann auch selbst Nachverhandlungen unternimmt.

Bis dahin empfehle ich Deutschland und Europa sehr stark, jetzt bei dem Thema Lieferketten und neue Märkte, mit neuen Handelsabkommen zu anderen Wirtschaftsräumen zu reagieren. Ich habe schon auf neue Märkte in Asien, Afrika, Südamerika hingewiesen. Wir müssen uns da viel breiter, resilienter aufstellen, also breiter diversifizieren.

Nochmal zu der Frustrationsfrage: Wenn die Menschen merken, dass jetzt auch der Ukraine-Konflikt hoffentlich zu Ende geht, da wird es auch eine Reihe von Entlastungen geben, übrigens auch in unserem Sozialhaushalt. Und dann entstehen wieder fiskalpolitische Spielräume, weil wir zusätzlich wieder mehr Wachstum bekommen und dann wird es auch bei den Menschen spürbar sein. Wir dürfen uns deswegen jetzt aufgrund aktueller Umfragen nicht nervös machen lassen. Ich plädiere für mehr Optimismus.

Was raten Sie einem Mittelständler, wie er auf die neue globale Lage reagieren soll?

Wir brauchen neue Absatzmärkte. Nur zum Vergleich: Die USA haben 340 Millionen und die EU hat rund 450 Millionen Einwohner. Wir dürfen es vor allem nicht unterschätzen, wen es jenseits von China und den USA da draußen gibt. Indien wird bald größer sein als China. Indonesien ist ein großer Wirtschaftsraum, die Philippinen sind es auch, auch einzelne Länder in Afrika, auch in Südamerika. Das sind ja Wirtschaftsräume, die dynamisch wachsen, und mit diesem dynamischen Wachstum entsteht ja auch mehr Wohlstand und Nachfrage. Ich würde unseren Unternehmen sagen, einfach breiter diversifizieren, resilienter werden, weniger Klumpenrisiken eingehen, diese Fehler dürfen sich in der Tat nicht wiederholen. Und übrigens, das hat uns am Ende dann auch immer stark gemacht. Wir sind ein Globalisierungsland. Und da gibt es mehr Märkte als China und die USA. Also: Mittelständler, erobert weitere Märkte!

Die deutsche Wettbewerbsfähigkeit stimmt nicht mehr

Deutschlands Exportmarktanteile schrumpfen – besonders seit 2021 im globalen Vergleich.

Artikel lesen

Veröffentlicht von Nils HeisterhagenJan Bonnekessen.

Artikel

Empfehlen Sie uns weiter

Sie können diesen Beitrag mit einem Klick auf die entsprechende Schaltfläche teilen.