Die Kritik an der israelischen Kriegsführung in Gaza wird stetig schärfer und Außenminister Johann Wadephul ist an dem Ort angekommen, an den sie sich richten – zu politischen Gesprächen nach Tel Aviv. Deren Verlauf dürfte beeinflussen, ob sich Deutschland den Sanktionsforderungen seiner Partner anschließt. Das würde ein Novum in den deutsch-israelischen Beziehungen bedeuten.
Denn obwohl deutsche Politiker – wie auch Wadephul selbst – nicht müde werden zu betonen, dass die Existenz und Sicherheit Israels „Teil der deutschen Staatsraison“ sei, schlägt die Bundesregierung inzwischen kritischere Töne an. Die Bilder aus Gaza sprechen für sich – unzählige Tote, verzweifelt um Lebensmittel kämpfende Menschen, abgemagerte Kleinkinder und zu Trümmerlandschaften gebombte Städte bleiben nicht ohne Wirkung. Kanzler Friedrich Merz betonte:
Ein Kind wartet im Gazastreifen auf die Ausgabe von Lebensmitteln. © ImagoIsrael muss die katastrophale humanitäre Situation in Gaza sofort umfassend und nachhaltig verbessern.
Schon dass Merz die aktuelle Entwicklung im Gaza-Streifen als Anlass sah, das Sicherheitskabinett einzuberufen, sagt einiges über die Stimmung in Berlin aus. Danach verkündete der Kanzler einen regelrechten Katalog an Forderungen – die es für Wadephul nun gilt, bestmöglich umzusetzen. Darunter:
Einen „umfassenden und nicht nur einen kurzfristigen Waffenstillstand“, dafür müsse auch die Hamas den Weg frei machen.
Eine deutliche Verbesserung der „katastrophalen humanitären Situation“ – die jüngsten Lieferungen von Lebensmitteln und Hilfsgütern könnten nur ein Anfang sein.
Außerdem müssten die Geiseln, unter denen noch deutsche Staatsangehörige seien, endlich freigelassen werden.
Die islamistischen Terroristen der Palästinenserorganisation Hamas müssten entwaffnet werden.
Und es dürfe keine weiteren Schritte hin zu einer Annexion des Westjordanlandes geben.
In zwei derzeit breit diskutierten Handlungsoptionen – Sanktionen und die Anerkennung Palästinas als Staat – hält sich Deutschland weiterhin zurück, aber einige Optionen offen. Dass nach Frankreich und Großbritannien indessen auch G7-Partner Kanada in der Frage um die Zwei-Staaten-Lösung nachzieht, wird an der deutschen Position wohl nichts ändern. Zumal dieser Schritt häufig als reine Symbolpolitik kritisiert wird. Für Merz gilt:
Eine Anerkennung betrachten wir nicht als einen ersten, sondern als einen der möglicherweise abschließenden Schritte hin zur Verwirklichung einer Zwei-Staaten-Lösung.
Wadephul steht bei seinem dritten Israel-Besuch somit erneut vor einem diplomatischen Drahtseilakt. Auf Drohungen mit Sanktionen und auf die mögliche Anerkennung eines Staates Palästina durch seine Verbündeten reagiert Israel äußerst empfindlich. „Ein solcher Schritt belohnt den Terrorismus“, echauffierte sich Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nach der Ankündigung Emmanuel Macrons. Da er und viele andere israelische Politiker einen Staat Palästina mit der Hamas gleichsetzen, würde das der Terrororganisation in die Hände spielen. Netanjahu im Wortlaut:
Ein palästinensischer Staat wäre unter diesen Umständen eine Plattform zur Vernichtung Israels.
Hierbei handelt es sich jedoch um eine Einschätzung, die in Berlin, Paris und London nicht geteilt wird. Allerdings bleiben Wadephul bei seinem Besuch die Hände gebunden. Denn auch den Sanktionsdrohungen der Europäischen Union, die Teilnahme Israels am Forschungsförderungsprogramm Horizon Europe in Teilen unverzüglich auszusetzen, wird von Deutschland nicht unterstützt – und von Israel schon gar nicht. Das Außenministerium in Jerusalem teilte mit:
Jede Entscheidung dieser Art dient nur dazu, die Hamas zu stärken, und untergräbt folglich die Chancen auf eine Waffenruhe (im Gaza-Streifen) und auf eine Verständigung zur Freilassung der Geiseln.
Selbst Merz’ jüngste Ankündigung, eine Luftbrücke nach Gaza zu schaffen, könnte Israel in die Hände spielen, da so der Druck auf die israelische Regierung reduziert wird, die bereitstehenden Hilfslaster nach Gaza zu lassen. Zumal solche Abwürfe von Hilfen als ineffektiv, teuer und gefährlich gelten – und den Eindruck erwecken, Gaza sei eine abgetrennte Insel, in die es keinen anderen Weg gibt, Nahrung zu bringen.
Fallschirme zur Lieferung von Hilfen gelten als wenig effizient wie gefährlich © ImagoSo reist Wadephul zwar mit einer Liste an Forderungen im Gepäck nach Israel – doch mit wenig Hoffnung, dass diese auch erfüllt werden. Dass es ausgerechnet dem deutschen Außenminister in direkten Gesprächen mit Netanjahu und Staatspräsident Isaac Herzog gelingt, eine israelische Kehrtwende herbeizuführen, scheint unmöglich. Zu unterschiedlich sind die Weltanschauungen der beiden Nationen. Zu schwach sind die Druckmittel Deutschlands, zu groß das Bekenntnis, immer an Israels Seite zu stehen.