Theoretisch steht sie noch, die viel beschworene Brandmauer. Praktisch zeigt sie deutliche Risse.
Von unten und von oben: In ostdeutschen Kommunen gibt es vermehrt gemeinsame Anträge von CDU und AfD, berichtet Report Mainz. Und auch in Brüssel bahnt sich ein neues Tête-à-Tête an.
Konkret: Es geht um ein Gesetz zum Bürokratieabbau (harmloser Name: „Omnibus Nachhaltigkeit“). Es soll die EU-Lieferkettenrichtlinie und Nachhaltigkeitsberichte eindampfen.
Doch die Verhandlungen stocken: Bereits im Juni einigten sich die EU-Staaten, aber im EU-Parlament steht noch kein Deal. Normalerweise wird dort in der politischen Mitte ein Kompromiss gesucht (genannt: „Von-der-Leyen-Mehrheit“).
Eine Infografik mit dem Titel: Wechselnde Mehrheiten
Mehrheitsverhältnisse im EU-Parlament nach der Europawahl 2024
Diesmal könnte es anders kommen: „Ich schließe keine Mehrheit aus, solange wir die Kosten für Unternehmen senken und die Wettbewerbsfähigkeit Europas stärken“, sagt der schwedische EU-Abgeordnete Jörgen Warborn. Er verhandelt für die Europäische Volkspartei (EVP), zu der auch CDU und CSU gehören.
Im Klartext: Auch mit der nationalkonservativen EKR (u. a. Meloni, PiS) und den Rechtsaußen-Fraktionen Patrioten (Orbán, Le Pen) und ESN (AfD), könnte eine Mehrheit gebildet werden, wenn es keine Einigung in der Mitte gibt.
Es wäre nicht das erste Mal: Bereits bei den Themen Grenzschutz und Entwaldung hatte es gemeinsame Mehrheiten von CDU/CSU und AfD gegeben. Neu sei, dass die EVP so offen mit einer rechten Mehrheit drohe, beschreibt ein Insider.
Lob kommt von AfD-Chefin Alice Weidel. Sie sagt zu The Pioneer:
AfD-Vorsitzende Alice Weidel © ImagoEs ist ein sehr erfreuliches Signal, dass es vereinzelt zu einem Umdenken in der EVP kommt.
Die Sozialdemokraten prangern an: Bei einer Verhandlung am Dienstag habe es „kein einziges vernünftiges Gespräch“ gegeben. „Nur Drohungen und Theater“, sagt die niederländische EU-Abgeordnete Lara Wolters.
Die EVP würde mit Rechtsextremen „flirten“ und die anderen Parteien „erpressen“, sagt die grüne EU-Abgeordnete Anna Cavazzini gegenüber The Pioneer. Weiter:
Sie spielt mit dem Feuer.
Doch die CSU-Abgeordnete Angelika Niebler verteidigt das Vorgehen. Sie sagt:
Unsere Unternehmen erwarten zu Recht, dass endlich spürbare Entlastungen kommen.
Sie hoffe weiterhin, dass eine „Einigung innerhalb der Von-der-Leyen-Plattform möglich ist“, fügt Niebler hinzu.
Vor dem EU-Gipfel in Kopenhagen hatte Kanzler Friedrich Merz den Ton verschärft: Mit der Regulierung der EU könne es so nicht weitergehen, sagte er am Freitag. Und weiter:
Bundeskanzler Friedrich Merz © dpaWir müssen dieser Maschine in Brüssel jetzt mal das Stöckchen in die Räder halten, damit das mal aufhört.
Beim Koalitionspartner stieß das auf Unbehagen.
Fazit: Wäre die Brandmauer ein Haus, der Dachstuhl wäre undicht, der Keller feucht. Renovieren oder abreißen? Dieser Frage sollte sich die Union stellen, bevor ihr keine Wahl mehr bleibt.