Humanoide Robotik

„Vielleicht die letzte große Chance für Europa"

Ist die Robotik das neue Hoffnungsfeld für die deutsche Industrie? Ein Interview mit David Reger, CEO von Neura Robotics, Deutschlands führendem Hersteller humanoider Roboter.
Nils Heisterhagen, Johann Paetzold
Gestern

The Pioneer: In den USA und China wird intensiv an humanoiden Robotern geforscht. Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich?

David Reger: Deutschland ist aktuell sicher nicht führend bei humanoider oder intelligenter Robotik. Aber mit Neura Robotics, das wir 2019 gegründet haben, sind wir international vorne dabei – insbesondere im Bereich physischer Intelligenz. Wir entwickeln Roboter, die wirklich eigenständig handeln können. Wichtig ist: Am Ende wird nicht der beste Prototyp gewinnen, sondern das beste Ökosystem. Und genau daran müssen wir jetzt intensiv arbeiten.

Tesla steigt in die Robotik ein, China verfolgt seit Jahren eine klare Industriepolitik. Was wünschen Sie sich von der deutschen Politik – und von den großen Unternehmen? Wann springen sie auf den Zug auf?

Deutschland war lange stark abhängig von der Automobilindustrie – finanziell erfolgreich, global als Innovationsstandort anerkannt. Aber diese Zeit geht zu Ende. Wir brauchen ein neues Leitprojekt, das unsere Wirtschaft trägt. Und Robotik kann das sein. Wir sprechen hier von intelligenter Hardware, kombiniert mit Software – das ist ein Bereich, in dem Deutschland noch viel erreichen kann.

Was ich mir wünsche? Ein grundlegender Mindset-Wandel – und der beginnt langsam. Ich sehe erste Signale: Politische Treffen zur Robotik, wachsendes Interesse, auch wenn es in den Koalitionspapieren noch nicht den notwendigen Stellenwert bekommt. China hat klare Ziele: Bis 2030 sollen 5 % der Arbeitskräfte durch intelligente Roboter ersetzt werden – das sind 40 Millionen neue Systeme. Und Elon Musk hat Tesla bereits in eine Robotikfirma umgewandelt – mit riesigem Potenzial.

Wenn Deutschland nicht bald reagiert, verliert es erneut eine Schlüsselrolle. Robotik ist vielleicht die letzte große Chance für Europa, wirtschaftlich global führend zu bleiben.

Ist Robotik in Deutschland vor allem auch eine Finanzierungsfrage? China investiert Milliarden, in den USA tragen Konzerne wie Tesla oder NVIDIA das privat. Muss es in Deutschland ein staatliches Milliardenprogramm geben – oder erwarten Sie eher, dass Unternehmen wie BMW oder Volkswagen einsteigen?

Wir denken als Neura Robotics nicht klein. Aber natürlich ist die Frage berechtigt: Wie finanziert man den Aufbau einer Zukunftsindustrie? Ich bin kein Fan des Gießkannenprinzips. Stattdessen braucht es eine klare nationale Strategie, die auf Deutschlands Stärken aufbaut – und da landet man zwangsläufig bei Robotik.

China investiert nicht blind, sondern strategisch: Sie wissen, dass ihnen bis 2030 über 80 Millionen Arbeitskräfte fehlen werden, und reagieren mit Robotik als Staatsziel. Dadurch fließt auch privates Kapital – weil klar ist: Die meinen es ernst. Das schafft Vertrauen und Planungssicherheit.

Europa hat ähnliche Herausforderungen: Uns fehlen bis 2030 etwa sieben Millionen Arbeitskräfte, und wir haben kaum Rohstoffe. Wir brauchen also Technologien, die uns helfen – und mit denen wir zugleich globale Märkte erschließen. Dafür ist Robotik ideal.

Auf Landesebene passiert schon viel: In Baden-Württemberg gibt es eine Robotikagenda, ich bin dort auch im Beraterkreis der Minister. Auf Bundesebene müssen wir nachziehen – und Robotik als strategisches Zukunftsthema anerkennen.

Wie groß wird der Markt für humanoide Roboter 2030 und 2040 sein? Und wo liegt dann ungefähr der Durchschnittspreis? Unitree bietet aktuell ein Einstiegsmodell für 6.000 Dollar an.

Wenn die angepeilten 40 Millionen Systeme bis 2030 allein in China kommen, ist die Robotik selbst bei einem Durchschnittspreis von 6.000 Dollar einer der größten entstehenden Märkte weltweit. Und sobald China so massiv einsteigt, wird der Rest der Welt nachziehen – der Effekt ist also global.

Entscheidend ist nicht nur der Preis, sondern die Funktion. Wir brauchen keine Roboter, die Saltos machen, sondern solche, die reale Probleme lösen – etwa den Fachkräftemangel. Deshalb setzen wir bei Neura Robotics auf echte physische Intelligenz: Roboter, die eigenständig handeln, greifen, verstehen können.

Das ist eine andere Herausforderung als bei ChatGPT. OpenAI hatte Erfolg, weil sie mutig waren: Sie haben massiv Daten eingekauft, neuronale Netze damit trainiert und so ein leistungsfähiges Sprachmodell entwickelt. Bei physischer Intelligenz fehlt es jedoch an vergleichbaren Daten – man kann sie nicht einfach kaufen.

Und genau hier setzen wir an: Wir haben als Erste weltweit eine Plattform entwickelt, die diese Daten generiert – ähnlich wie Steve Jobs mit dem App Store. Statt alles selbst zu entwickeln, ermöglichen wir es anderen, Roboterfähigkeiten beizubringen. So entsteht eine offene, skalierbare Plattform, mit der Roboter lernen können – nicht nur besser, sondern schneller.

Unser Ziel ist nicht, schöne Videos zu produzieren, sondern reale Anwendungen zu ermöglichen – für den Alltag, für die Industrie, für echte Probleme.

Mal ganz einfach gefragt: Könnte Ihre Mutter dem Roboter bald beibringen, wie man Tee kocht?

Im Moment arbeiten vor allem Robotikunternehmen mit unserer Plattform – es braucht noch Fachwissen. Aber das System lernt mit: Jeder, der dem Roboter etwas beibringt, verbessert das neuronale Netz dahinter. So wird der Roboter immer besser darin, eigenständig Lösungen zu entwickeln oder smarte Vorschläge zu machen. In zwei Jahren, schätze ich, könnte meine Mutter das tatsächlich selbst tun – oder der Roboter bringt es sich längst selbst bei.

Wenn ein durchschnittlicher angelernter oder ungelernter Arbeiter den Arbeitgeber rund 30.000 bis 45.000 Euro im Jahr kostet – wie realistisch ist es, dass Roboter solche Tätigkeiten dauerhaft übernehmen? Welche Jobs sind konkret betroffen, und wo können Roboter auch entlasten?

Es geht vor allem darum, eine Lücke zu füllen. Viele Industrien finden schlicht keine Leute mehr für einfache Aufgaben. Damit stehen viele Unternehmen unter Druck, Prozesse zu automatisieren.

Die Tätigkeiten, die Roboter heute schon übernehmen können, sind noch simpel: Knöpfe drücken, Schalter umlegen, Bauteile platzieren, Tüten schließen. Genau darauf haben wir uns zunächst fokussiert. Aber perspektivisch gilt: Alles, was physisch wiederholbar ist – also klassische Handarbeit – kann in den nächsten zwei Jahren von Robotern übernommen werden.

Neura Robotics Gründer David Reger 

Unser Roboter kostet derzeit rund 60.000 Euro. Damit liegen wir am oberen Ende der Preisspanne – aber dafür liefert er auch echten Mehrwert. Es gibt derzeit keinen anderen Roboter am Markt, der vergleichbare Aufgaben wirklich autonom erledigt. Natürlich wird der Preis mit steigender Stückzahl sinken, aber aktuell zählt vor allem der funktionale Nutzen – und den können wir liefern.

Sie haben China erwähnt, wo bis 2030 rund 40 Millionen Roboter im Einsatz sein sollen. 5 Prozent von deren Arbeitskräfte. Was erwarten Sie für Europa?

In Europa rechnen wir bis 2030 mit rund 3 bis 4 Millionen einsatzfähigen Robotern, ganz einfach weil uns 7 Millionen Arbeitskräfte bis dahin fehlen werden. Unser Ziel ist aber nicht nur, Europa zu beliefern – wir wollen weltweit aktiv sein. In den USA, China und Japan haben wir bereits Partner, Kooperationen und erste Roboter im Einsatz. Dort bauen wir unsere Präsenz gezielt weiter aus.

Deutsche Firmen sind stark in Hardware, bei Software oft weniger. Elon Musk hingegen verbindet beides: Tesla liefert die Hardware, XAI entwickelt die KI, GROK könnte bald das „Gehirn“ seines Roboters Optimus werden. Ist das eine realistische Zukunftsvision – oder müssen wir erstmal kleinere Brötchen backen?

Musk ist vor allem ein exzellenter Vermarkter. Er verkauft Visionen – oft erfolgreicher, als er sie bisher umgesetzt hat. Seine Autos etwa sind technisch nicht besser als deutsche, aber strategisch besser vermarktet. Bei XAI ist es ähnlich: Er baut, was es mit OpenAI schon gibt, investiert viel Kapital – was ihn stark macht, aber ist nicht technologisch führend.

In der Robotik steht er vor denselben Herausforderungen wie alle anderen: Physische Intelligenz zu entwickeln, ist extrem datenintensiv – und genau diese physischen Trainingsdaten fehlen. Musk versucht, alles selbst zu lösen. Wir gehen einen anderen Weg: Wir bauen eine globale Plattform, über die Roboter gemeinsam trainiert werden – ähnlich wie bei der Entwicklung des App Stores. Das ist skalierbar und effizient.

In einer Zeit, in der viele Industrien nach schnellen Lösungen suchen, wird Sichtbarkeit entscheidend. Und manchmal reicht in einem dunklen Umfeld ein kleines Licht – um aufzufallen und Orientierung zu geben. Genau das gelingt uns derzeit.

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