Heiko Maas: Minister für Mittelmaß

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Guten Morgen,

die Bundesrepublik hat mit Willy Brandt und Hans-Dietrich Genscher zwei wahrhaft große und mit Joschka Fischer, Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel einige doch sehr respektable Außenminister hervorgebracht. Heiko Maas zählt zu keiner dieser Kategorien. Wäre er nicht Außenminister, sondern Frühstücks-Ei, würde man ihn wohl der Güteklasse B zuordnen: Dutzendware aus der Legebatterie der Parteipolitik.

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Die Professoren Guy Kirsch und Klaus Mackscheidt haben 1986 einen Essay verfasst, der sich mit feiner Ironie der Unterscheidung zwischen Staatsmann, Demagoge und Amtsinhaber widmet. Die Autoren, darin liegt die Magie des Textes, konnten den gegenwärtigen Außenminister nicht kennen – und dennoch haben sie ihn porträtiert: Der Amtsinhaber sei einer, der effizient die Amtsgeschäfte führe, wobei er nur die laufenden Angelegenheiten erledige. Die Spezifität des Amtsinhabers, das eben unterscheide ihn vom Staatsmann und vom Demagogen, bestehe darin, dass er im Dienste der Neurosen seiner Wähler stehe und nicht – wie der Staatsmann – seiner Klientel zur Herrschaft über ihre Neurosen verhelfe. Oder – wie der Demagoge – sich der Neurosen seiner Gefolgschaft bediene, um zu herrschen. Sein politischer Erfolg gründe darauf, dass er den Wählern ein Bild der Realität anbiete, in dem alle Angst machenden Elemente fehlen: „Ihre Borniertheit ist die seine.“ Womit wir wieder bei Heiko Maas wären. Er ist der Minister für strategische Ideenlosigkeit, ein Mann, der nie das Nötige, aber immer das Richtige sagt. Seine weltpolitischen Einlassungen stammen aus dem Tiefkühlregal der ewigen Wahrheiten:

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► Nachdem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die NATO als „hirntot“ bezeichnet hatte, forderte Maas – pünktlich zum gestrigen Treffen der NATO-Außenminister – „einen Prozess, der zentrale transatlantische Fragen in den Blick nimmt.“ Sein Vorschlag: Die Gründung eines Arbeitskreises. Donnerwetter! ► Als zum Jahresanfang die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Venezuela eskalierten, wurde er um seine Analyse der Lage gebeten. Die Antwort: „Wir wollen nicht dazu beitragen, dass die Lage weiter eskaliert.“ Politik im Weichspülgang, kurz vor der Handwäsche. ► Im April 2018 sagte Maas über den Umgang mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin: „Russland ist ein sehr schwieriger Partner geworden.“ Der Plattitüden-Kaiser hatte wieder gesprochen. Deutschland, die unsichtbare Mittelmacht. ► Als im Juli 2019 iranische Angriffe auf Tanker im Persischen Golf den Minister vor die Mikrofone zwangen, sagte er: „Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es Vorfälle gibt, mit denen man umgehen muss.“ Da haben sich die Mullahs aber mächtig erschrocken. ► Und natürlich hat einer wie Maas auch zur Flüchtlingskrise auf dem Mittelmeer eine bedeutsame Position: „Jedes Schiff mit aus Seenot Geretteten, das über Tage auf eine Einfahrt in einen sicheren Hafen warten muss, ist eins zu viel.“ Ein vorwitziger Reporter fragte, was denn jetzt konkret zu tun sei. Maas: Man brauche „dringend eine europäische Lösung, die funktioniert.“ ► Als sich Maas Ende September 2019 ermannte, am Rande der UN-Vollversammlung seine „Allianz der Multilateralisten“ vorzustellen, hatte er aus Berlin schnittige Anzüge und mehrere Kubikmeter heiße Luft nach New York mitgebracht. Es ginge darum, ein „Netzwerk von Staaten zu bilden, die in flexiblen Formaten zusammenkommen, um konkrete politische Herausforderungen anzugehen.“ Im Saal kam es zur Verpuffung.

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Falls die SPD ihrer wachsenden Bedeutungslosigkeit nachspüren möchte, sollte sie im Außenministerium mit der Recherche beginnen. Hier wird nicht das Feuer eines Willy Brandt geschürt, sondern nur dessen Asche aufbewahrt. In all seiner routinierten Ambitionslosigkeit wird der Typus des gegenwärtigen Amtsinhabers von den Autoren Kirsch und Mackscheidt als eine gleichermaßen bequeme wie gefährliche Figur der Zeitgeschichte eingestuft. Bequem, weil er die Wirklichkeit mit Erfolg abwehre und „die Bürger in ihrem geistigen Ausweichverhalten“ befördere. Gefährlich, weil diese Verdrängungsarbeit zu Wirklichkeitsverlust führe, dem, sagen die Professoren, „am Ende auch die unerschütterliche Borniertheit nicht standhalten kann.“ Auf den Amtsinhaber folge das böse Erwachen. Bald habe der Demagoge seinen Auftritt. Bis es soweit ist, haben wir hoffentlich noch Zeit. Die Harmlosigkeit eines Heiko Maas können wir bis dahin – je nach Temperament – heftig kritisieren oder in vollen Zügen genießen. Dieser Minister schmerzt ja nicht. Er macht nur so müde.

Die Frage nach der Kanzlerkandidatur in der CDU wird vertagt, doch eine Personalentscheidung steht auf dem bevorstehenden Bundesparteitag in Leipzig dennoch an: Silvia Breher soll neue Vize-Chefin der CDU und Nachfolgerin der designierten EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen werden. Silvia wer? Die 46-jährige Juristin aus Niedersachsen sitzt erst seit 2017 im Bundestag und wollte ursprünglich Tierärztin werden. Die Mutter von drei Kindern wuchs auf einem Bauernhof auf und war von 2011 bis 2017 Geschäftsführerin des Kreislandvolkverbandes in Vechta. Nun wird sie Stellvertreterin von Annegret Kramp-Karrenbauer. Mein Kollege Michael Bröcker hat mit ihr für den Morning Briefing Podcast gesprochen. Sie sagt:

Es ist das allererste Mal in meinem Leben, dass ich von der Frauenquote profitiere. Das ist gewöhnungsbedürftig, aber nicht schlimm.

Eine Infografik mit dem Titel: Je konservativer, desto männlicher

Anteil der männlichen Mitglieder der im Bundestag vertretenen Parteien, in Prozent

Über die Akzeptanz einer rein rhetorischen Politik macht sie sich keine Illusionen:

Für mich ist es wichtig, dass Politik bei den Menschen wirkt, die es am Ende angeht. Ich höre immer nur: ‘Silvia, Du bist nach Berlin gegangen, wir haben Dich gewählt. Und was lässt Du uns hier? Die Mobilfunklöcher sind immer noch da.’ Das kann es nicht sein.

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Ihre Ambition ist größer als die Berliner Gegenwart:

Wir brauchen eine Zielvorstellung und nicht nur Flickschusterei an kleinen Punkten.

Fazit: Ein neues Gesicht und eine bisher ungehörte Stimme werden sich in Leipzig ihren Weg nach oben bahnen. Die CDU kann Erneuerung gut gebrauchen. Journalisten sind Fehlergucker, hat Stefan Aust einst gesagt. Melde gehorsamst: Wir haben bei Silvia Breher noch keinen entdeckt.

Eine Infografik mit dem Titel: Griechenland: Hotspot für Flüchtlinge

Ankünfte von Flüchtlingen und Migranten über den Seeweg seit Januar 2019

Für in Griechenland ankommende Flüchtlinge endet der Weg in die Freiheit demnächst in staatlicher Verwahrung: Die griechische Regierung ersetzt ihre bislang offen gehaltenen Flüchtlingscamps durch geschlossene Lager. Damit reagiert das Land auf die seit Mitte April steigenden Flüchtlingszahlen. 2019 kamen bislang fast 50.000 Flüchtlinge über die Seewege auf den griechischen Inseln an – mehr als doppelt so viele wie in Spanien (siehe Grafik oben). Angesichts dieser Zahlen möchte die neue konservative Regierung ein Signal setzen. „Die Menschen müssen verstehen, dass sie ihr Geld verlieren, wenn sie es einem Schmuggler geben, der sie nach Griechenland bringen soll“, erklärte ein Regierungssprecher. Ministerpräsident Mitsotakis funkt zugleich SOS in Richtung der EU: Er wolle nicht länger hinnehmen, dass Europa „Ankunftsländer wie Griechenland als bequeme Parkplätze für Flüchtlinge und Migranten“ benutze. Fazit: Die „europäische Lösung“, von der Maas & Co. immer wieder sprechen, könnte hier weiterhelfen. Doch die wird beschworen, aber nicht gesucht. Europa will nicht helfen – nicht mal sich selbst.

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Die Europäische Zentralbank hat das Vermächtnis von ihrem Ex-Präsidenten Mario Draghi zusammengefasst. Der sogenannte Finanzstabilitätsbericht könnte den Titel „Offenbarungseid“ tragen. Die EZB weist darin auf die Risiken hin, die sie selbst verursacht hat – durch ihre Aufkaufprogramme und die Nullzinspolitik. In dem Bericht heißt es:

Modellschätzungen zufolge haben die Lockerungsmaßnahmen der EZB, sowie externe Effekte durch Maßnahmen der Federal Reserve, zu höheren Anleihe- und Aktienkursen beigetragen.

Weltweit notieren inzwischen Anleihen im Umfang von 13,5 Billionen US-Dollar zu negativen Renditen. Staaten wie Privatsektor haben die Niedrigzinsen zur Aufnahme weiterer Schulden genutzt. Die EZB hält fest:

In einem strengeren und länger andauernden Szenario des wirtschaftlichen Abschwungs würden die Risiken für die Tragfähigkeit der Schulden zunehmen, insbesondere in hoch verschuldeten Ländern.

Das gleiche gelte für Unternehmen:

Während die Risiken im Allgemeinen begrenzt bleiben, muss die Anfälligkeit von Unternehmen mit hohem Verschuldungsgrad überwacht werden.

Die Zentralbanker halten mit Blick auf die Finanzmärkte fest:

Das Fortbestehen eines Niedrigzinsumfelds kann dazu führen, dass einige Bewertungen falsch ausgerichtet werden und daher die Gefahr einer abrupten Korrektur in der Zukunft besteht.

Das Fazit von EZB-Vizepräsident Luis de Guindos dazu lautet:

Die Behörden sollten verfügbare Instrumente verwenden, um das Auftreten von Sicherheitslücken zu beheben, sofern dies möglich ist.

Zumindest ist die Europäische Zentralbank humorbegabt. Sie warnt vor sich selbst. Sie will ihr Leben nicht ändern, aber bittet andere bereitzustehen.

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Der Lufthansa und ihren Tochterunternehmen Eurowings, Sunexpress, Germanwings und Cityline drohen ab der kommenden Woche neue Streiks. Nach den bis zum letzten Wochenende insgesamt 1.500 annullierten Flügen ist das Schlichtungsverfahren zwischen Lufthansa und der Kabinengewerkschaft UFO, die rund 21.000 Arbeitnehmer repräsentiert, vorerst gescheitert. UFO stellte der Airline jetzt ein siebentägiges Ultimatum. Lufthansa hatte eine Lohnerhöhung um zwei Prozent bewilligt. Zu wenig, sagt die Gewerkschaft. „Sollte nichts geschehen, werden wir am Donnerstag kommender Woche ankündigen, wo und wann wieder gestreikt wird“, sagt UFO-Sprecher Nicoley Baublies. Seine schärfste Waffe steckt noch im Halfter: Streiks in der Weihnachtszeit.

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ID Space Vizzion klingt nach einem Raumfahrtprojekt des Tech-Pioniers Elon Musk, stammt in Wahrheit aber aus dem Hause Volkswagen. ID Space Vizzion soll als elektronische Alternative zum Passat Variant ab 2021 auf die Straße. Angetrieben wird der knapp fünf Meter lange und 1,90 Meter breite Kombi aus dem Segment der gehobenen Mittelklasse wahlweise mit einem oder zwei E-Motoren, hinter denen ein Schnelllade-Akku mit einer Kapazität von 82 Kilowattstunden sitzt – Reichweite: 590 Kilometer. 340 PS sollen die Allradversion des Wagens innerhalb von 5,4 Sekunden auf 100 Kilometer pro Stunde beschleunigen. Doch Volkswagen will die gesellschaftliche Akzeptanz und nicht die Unvernunft fördern. Das bedeutet: Ab 175 Stundenkilometern riegelt der E-Passat ab. Der Ex-ADAC-Slogan „Freie Fahrt für freie Bürger“ ist keine Forderung mehr, nur noch eine Erinnerung. Das „V“ bei VW steht neuerdings für Verantwortung. Ich wünsche Ihnen einen entspannten Start in den neuen Tag. Herzlichst grüßt Sie Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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