Deutschland hat in den vergangenen Jahren große Fortschritte bei Wind und Solar gemacht. Doch wenn wir glauben, dass das schon reicht, irren wir. Wir müssen noch viel mehr tun. Erneuerbare Energien sind entscheidend, aber sie allein werden die Zukunft nicht tragen. Dazu gehört auch die Kernenergie und ein massives Investment in die Kernfusion.
Wir stehen am Beginn einer neuen Epoche, die man als das Zeitalter der Energie bezeichnen kann. Jede Ära der vergangenen Jahrzehnte hatte ihr Leitmotiv. Zuerst war es das Zeitalter des Computers, dann das Zeitalter des Internets. Nun kommt eine Phase, in der sich alles daran entscheidet, wie viel günstige, verlässliche und im besten Fall nahezu unendliche Energie ein Land sichern kann. Energie ist der Schlüssel für den Wohlstand von morgen. Sie ist die absolute Basis für wirtschaftlichen Erfolg, für industrielle Stärke und für technologische Führungspositionen.
Eric Demuth, Co-Founder und CEO von Bitpanda © BitpandaDeutschland und Österreich behandeln Kernenergie jedoch noch immer wie ein Tabu. Jede Debatte wird sofort ideologisch aufgeladen, statt rational geführt. Dabei ist es keine Frage der Weltanschauung, sondern eine Frage von Physik, Kosten und Zeit. Ohne nukleare Energieversorgung hat Deutschland keine Chance, eine führende Industrienation zu bleiben.
Beim Springer CEO-Roundtable in Berlin, im Rahmen der Springer-Awards, habe ich mit Sam Altman lange darüber gesprochen. Für mich war es einer der zentralen Punkte des Abends. Auch für die anderen CEOs am Tisch war klar: Energie ist das große Reizthema in Deutschland. Alle waren sich einig, dass Zukunftstechnologien wie künstliche Intelligenz, Chips und Rechenzentren nur auf einer Basis funktionieren – günstige und verlässliche Energie. Genau hier liegt unser größtes Problem.
Sam Altman © Pascal Rohé/Axel SpringerDie Dimensionen
Der weltweite Strombedarf von Rechenzentren wird sich bis 2030 auf rund 1.000 Terawattstunden verdoppeln, bis 2035 könnten es über 1.300 Terawattstunden sein. Das ist mehr als Japans gesamter Jahresverbrauch. In den USA rechnen Szenarien für 2030 mit bis zu 1.050 Terawattstunden allein für Rechenzentren – also mehr als die gesamte Türkei heute benötigt.
Die geplanten Stargate-Campusse von OpenAI, Oracle und SoftBank liegen bei fünf bis zehn Gigawatt pro Standort. Das entspricht sieben bis zehn modernen Kernkraftwerken für ein einziges Projekt. Ein einziges Rechenzentrum kann so viel Energie verbrauchen wie Millionen Haushalte oder eine gesamte Industrienation mittlerer Größe.
Deutschland produziert jährlich 550 bis 600 Terawattstunden Strom. Das reicht kaum für den Eigenbedarf und oft nicht einmal das, weshalb wir Nettoimporteur sind. Bald werden einzelne Hyperscale-Campusse in den USA schon einen zweistelligen Prozentanteil dessen verbrauchen, was ganz Deutschland in einem Jahr erzeugt.
China marschiert, wir stolpern
Während in Deutschland noch über Kernenergie gestritten wird, baut China in Rekordtempo. Allein zwischen Januar und Mai 2024 gingen dort 198 Gigawatt Solar- und 46 Gigawatt Windleistung ans Netz – so viel wie der Jahresverbrauch von Indonesien oder der Türkei. Gleichzeitig investiert China massiv in Kernkraft und Fusion.
Deutschland fährt dagegen auf Kante. 2024 stammten 56 bis 60 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen, dennoch waren wir wieder Nettoimporteur. Die Industriestrompreise liegen deutlich über dem US-Niveau. Unternehmen wandern ab oder drosseln ihre Produktion. Die deutsche Industrie leidet, weil wir beim Eintritt ins Zeitalter der Energie einen Fehlstart hingelegt haben. Das ist ein zentraler Grund für die Rezession und die Schwäche unserer produzierenden Wirtschaft.
Neue Debattenkultur
Wir müssen ideologische Scheuklappen ablegen. Es geht nicht darum, Wind und Solar gegen Kernenergie auszuspielen. Wir brauchen beides. Erneuerbare liefern günstige Kilowattstunden, wenn die Sonne scheint und der Wind weht. Kernenergie liefert verlässliche Kilowatt rund um die Uhr. Moderne Reaktoren sind sicherer und effizienter als alles, was in den 1980er Jahren gebaut wurde. Schweden baut in Forsmark das weltweit erste Endlager, das Brennelemente für 100.000 Jahre sicher einschließt. Ein Problem, das jahrzehntelang als unlösbar galt, bekommt damit eine konkrete Lösung.
Dampfende Kühltürme. © ImagoFrankreich, unser direkter Nachbar, ist längst Vorreiter. Dort laufen Forschung und Bau neuer Reaktoren ebenso wie Fusion. Im Februar 2024 stellte der französische West-Reaktor einen Weltrekord auf: ein Plasma konnte 22 Minuten lang stabil gehalten werden. China meldete fast zeitgleich 18 Minuten im East-Reaktor. Was lange wie Science-Fiction klang, rückt näher. Sollte ein Durchbruch gelingen, hätten wir eine nahezu unendliche, saubere Energiequelle mit Grenzkosten nahe der Null.
Von der Krise zur Chance
Ja, wir haben Fehler gemacht. Wir haben die höchsten Energiepreise weltweit und jahrelang eine falsche Politik verfolgt. Das kann man beklagen – oder man akzeptiert die Realität und lernt daraus. Letzteres ist der einzige Weg. Aber das bedeutet, dass wir jetzt doppelt und dreifach investieren müssen.
Wir werden noch Jahre einer Durststrecke erleben. Aber genau deshalb brauchen wir große Wetten auf die Zukunft. Venture Bets, wie man im Silicon Valley sagt. Wir müssen massiv in Forschung und Entwicklung von Kernfusion investieren, genauso in den Aufbau moderner Kernkraftwerke und die Ermöglichung von Small Modular Reactors. SMRs sind kleine, modulare Reaktoren, die in Fabriken gefertigt und dann vor Ort installiert werden. Sie sind schneller zu bauen, flexibler einsetzbar und besonders interessant für private Projekte wie Rechenzentren oder große Industrieanlagen, die unabhängige, verlässliche Energie brauchen. In den USA werden SMRs bereits von Unternehmen wie NuScale oder TerraPower vorangetrieben, weil sie planbare, saubere Energie direkt für private Standorte liefern können. Auch Deutschland sollte diesen Weg ernsthaft prüfen.
Der Appell
Deutschland darf nicht länger Politik des Hinterherlaufens betreiben. Wir brauchen Mut, Weitblick und den Willen, unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Kernenergie ist kein Relikt der Vergangenheit, sondern eine Schlüsseltechnologie der Zukunft. Wenn wir jetzt handeln, können wir aus der aktuellen Schwäche langfristig einen Vorteil machen: ein Jahrzehnt der Investition und Disziplin – und danach wieder eine führende Rolle in der Welt. Kernenergie und Erneuerbare jetzt. Fusion morgen.