Der 8. Tag – der Newsletter

Michel Friedman: Warum wurden Sie ausgeladen? Außerdem: Marina Abramović und ein Liebesfilm

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© The Pioneer

Guten Abend,

es ist wieder Montag, eine neue Woche wartet darauf, von uns erobert zu werden.

Wir wollen heute

  • uns über schlechte Laune im Museum freuen,

  • einen der besten Liebesfilme empfehlen

  • und die Marina Abramović in uns allen erwecken.

Doch zunächst schauen wir auf die alarmierende Ausladung eines jüdischen Intellektuellen. Los geht’s.

Michel Friedman auf der Pioneer Two  © Anne Hufnagl

Vielleicht haben Sie die Schlagzeilen gelesen: Im Oktober kommenden Jahres sollte Michel Friedman anlässlich des 120. Geburtstages von Hannah Arendt in einem Literaturhaus in Klütz, Mecklenburg-Vorpommern, über Demokratie sprechen. Eigentlich. Doch dann wurde die Einladung zurückgenommen – offenbar auf Druck des Bürgermeisters.

Genau der hat mittlerweile seinen Rücktritt angekündigt.

Was ist da passiert? Nun, ich habe Michel Friedman in unser Podcast-Studio auf der Pioneer Two eingeladen und ihn gefragt.

Als Grund für die Absage habe man ihm gesagt:

Er könne meine Sicherheit nicht garantieren, denn Rechtsextreme könnten die Veranstaltung stören. Und zweitens: So richtig passe man nicht zum Ort.

Woher weiß ein Bürgermeister, dass in einem Jahr Rechtsextreme eine Veranstaltung stören? Entweder, weil bereits jetzt Rechtsextreme so mächtig in seinem Ort sind oder weil er sich sowas vorstellen kann.

Die Frage, ob er zum Ort passe, sei gekoppelt worden daran, dass er mit einem Fahrer komme und ein Hotelzimmer in Hamburg nehme.

Das ist das Narrativ des reichen, gierigen Juden.

Die Ausladung eines der wichtigsten jüdischen Intellektuellen im Land durch einen Bürgermeister ist keine Randnotiz, sie ist ein Symptom. Sie zeigt, wie dünnhäutig die Demokratie geworden ist. Und wie gefährlich es ist, wenn die Debatte verstummt, noch bevor sie überhaupt begonnen hat.

Im Achten Tag spreche ich mit Friedman über die Normalisierung der AfD, über die Frage, ob der Gesellschaft eigentlich klar ist, mit welcher Leidenschaft an den Grundfesten der Demokratie gerüttelt wird – und darüber, weshalb der großen demokratischen Mehrheit die Leidenschaft für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit zu fehlen scheint. Sehen Sie hier das ganze Gespräch mit Michel Friedman auf unserem Youtube-Kanal.

Sie können das Gespräch auch lesen oder hören:

Marina Abramović © Imago

Wir leben in einer frustrierend performativen Zeit. Weil alle ständig auf Sendung sind, ist das Darstellen an die Stelle des Seins gerückt. Hinter nahezu allen Aussagen, jedem Kompliment, jeder Meinungsäußerung, Solidarität und Kritik steht eine zweite Ebene, in der ununterbrochen eine politische Maschinerie läuft: Mit wem will ich assoziiert werden? Wem schulde ich noch etwas? Wessen Feind will ich auf keinen Fall sein und wer ist gerade so en vogue, dass ich ihrer Anerkennung bedarf?

Umso befreiender Momente, in denen sich jemand so gar keine derartigen Gedanken zu machen scheint.

Meine Damen und Herren, Marina Abramović.

In einem Interview wird die Künstlerin gefragt, ob sie lieber ein Dinner mit Kim Kardashian hätte oder eins mit der Regisseurin Greta Gerwig (Barbie).

Schauen Sie sich Ihre Antwort an, es ist ein großes Fest.

Paraphrasierend sagt sie: mit keiner von beiden. Sie wolle mit den meisten bekannten Persönlichkeiten nicht wirklich essen gehen, von dem Film Barbie halte sie gar nichts und was die andere Kandidatin angeht: „Ich hatte schon mal ein Dinner mit Kim Kardashian. Ich brauche kein weiteres.“

Wir brauchen mehr Abramović-Momente in unserem Leben. Trauen wir uns!

„In the Mood for Love" (2000)  © Imago

Hongkong, 1962: Zwei Paare beziehen zwei Wohnungen nebeneinander. Zu sehen sind allerdings nur der Journalist Chow, dessen Frau nie zu Hause ist, und Sekretärin Su, deren Mann monatelang auf Reisen ist. Während sie sich anfreunden, merken die beiden, dass ihre beiden Partner wohl eine Affäre miteinander haben. Daraus spinnt ein Seiltanz zwischen Verzweiflung und Liebe, Erotik und Vernunft.

Meine Kollegin Pia v. Wersebe hat „In the Mood for Love" aus dem Jahr 2000 vor Kurzem zum ersten Mal gesehen und war, natürlich, begeistert.

Der Kultfilm des Regisseurs Wong Kar-Wai erzählt eine Liebes-Geschichte in Augenblicken: In einer Berührung, einer Geste, einem Lichteinfall eröffnet sich eine ganze Welt. Die Kamera folgt den Protagonisten ebenso vorsichtig, bedacht, wie die zwei Liebenden einander.

Kar-Wai wiegt die Geschichte in einen Rhythmus, wie sie Verliebte erleben – rasant, verschwenderisch, in Zeitlupe, Stillstand, dann wieder tastend.

Film und Fotografie greifen ineinander und fordern einander heraus.

Wenn Sie den Film noch nicht gesehen haben, tun Sie es wie Pia und holen es nach.

Es lohnt sich.

Schauspieler Carl Brandi spielt den Grumpy Guide. © Museum Kunstpalast

… dem Grumpy Guide.

Der Düsseldorfer Kunstpalast lockt seine Besucher neuerdings mit einem Museumsführer, der mit mieser Laune durch die Ausstellungen führt. Der Grumpy Guide, gespielt von dem Performance-Künstler Carl Brandi, hält den Besuchern ihre Ahnungslosigkeit vor. Er ist überheblich, unverschämt – und weiß alles besser.

„Mein Name ist Langelinck, ich warte auf niemanden”, und die Führung geht los.

Joseph Langelinck hastet quer durch die Epochen, schimpft über die Kuration, die Museumsdirektion und sein Publikum. Eine „künstlerische Selbstüberschätzung” nennt er die Werke der Renaissance und schimpft: „Haben Sie das Gehirn eines Hamsters?”, als ein Besucher eine Frage stellt. Er ist der Einzige, der noch alle Tassen im Schrank hat, glaubt zumindest er selbst. Mit keiner Frage, keiner Anmerkung kann sein Publikum ihn aufheitern. Man lacht und erfährt trotzdem viel.

„Die Kunstbranche nimmt sich oft sehr ernst“, sagt der Museumsdirektor Felix Krämer. Mit Selbstironie und Humor lockt der Kunstpalast ein Publikum, das sich nicht mit „Hochkultur-Klischees identifiziert, aber trotzdem neugierig auf Kunst ist”. Mit diesem Perspektivwechsel ist das Museum sehr erfolgreich: Bis Dezember sind alle Führungen ausgebucht.

Ich wünsche Ihnen eine schöne Woche ✨.

Auf sehr, sehr bald.

Pioneer Editor, Stv. Chefredakteurin The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Stv. Chefredakteurin The Pioneer

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