Debatte

Pro & Kontra: Welche Zukunft hat deutscher Stahl?

Brauchen wir eine eigene Stahlproduktion in Deutschland? Ein Pro und Kontra.
Nils Heisterhagen, Jonathan Packroff
04.11.2025
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Kontra: Die deutsche Stahlindustrie ist nicht zu retten

Wirtschaft ist kein Wunschkonzert. Natürlich kann man sich eine „wettbewerbsfähige“ deutsche Stahlindustrie wünschen, doch realistisch macht es sie nicht, meint Pioneer-Redakteur Jonathan Packroff.

Das Problem ist einfach umrissen: Stahlproduktion, zumindest der erste Schritt (Primärstahl), ist extrem energieintensiv. Laut ThyssenKrupp Steel werden Energiepreise bis zu 50 Prozent des Gesamtpreises von grünen Stahl-Brammen (Stahlriegel) ausmachen.

Jonathan Packroff © Anne Hufnagl

Stahlproduktion lohnt sich also dort, wo Energie günstig ist – und das ist nicht in Deutschland. Und wird es auch nicht sein.

Spätestens seit dem Wegfall des russischen Gases haben wir Energiepreise, die nicht mit anderen Standorten mithalten können. Auch der Atomausstieg hat das Angebot verknappt.

Eine Infografik mit dem Titel: Strompreise für die Großindustrie

Durchschnittlicher Strompreis für Unternehmen mit Jahresverbrauch über 150 Mio. Kilowattstunden (kWh) pro Jahr, in Cent pro kWh

Und auch in Zukunft, wenn Europa klimaneutral sein will, wird das nicht anders sein: Zum Beispiel Schweden hat viel mehr steuerbare und günstige Wasserkraft (und Atomkraft) – und Spanien viel mehr Sonne. Grüne Produktion ist dort also erheblich günstiger.

Deshalb fordern einige die Verschiebung der Klimaziele, aber auch das wird nichts nützen. Denn egal ob wir 2045, 2050 oder noch später klimaneutral werden wollen – irgendwann wird die grüne Welt Realität. Und ohne Klimaneutralität lässt sich der Klimawandel nicht aufhalten.

Chinas CO2-Ausstoß ist 2025 erstmals gesunken – und soll es bis 2035 weiter tun. Damit China und andere Länder den Weg weiter gehen, muss Europa vorangehen. So wurde es auch 2015 in Paris vereinbart.

Auch ganz ohne Klimaschutz stünde die deutsche Stahlindustrie schlecht da: Grund sind weltweite „Überkapazitäten“. Heißt übersetzt: Es wird viel mehr Stahl produziert, als gebraucht wird. Warum? Weil Stahl prestigeträchtig ist und als „Herz“ der Industrie gilt.

Die Wahrheit ist aber: Stahl ist ein Grundstoff wie viele andere. Natürlich wird er vor allem in Autos und Maschinen verbaut, Deutschlands wichtigsten Exportbranchen. Aber gerade deshalb brauchen diese Firmen günstigen Stahl – sonst gefährden sie ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit.

Die vor allem von der SPD nun geforderten Maßnahmen wie „Buy European“-Regeln und höhere Zölle auf China-Stahl sind deshalb nicht nur sinnlos, sondern geradezu gefährlich. Und zwar für die Bereiche der Wirtschaft, die deutlich mehr Wertschöpfung produzieren.

Statt Stahl-Romantik braucht es deshalb eine klare Ausrichtung auf die Zukunftssektoren unserer Zeit: Robotik, Quantencomputing, hochqualifizierte Dienstleistungen und vieles mehr. Allein Deutschlands wertvollstes Software-Start-Up Celonis ist mehr als doppelt so viel wert wie alle deutschen Stahlfirmen zusammen, sagt Ökonom Clemens Fuest.

Fazit: Schwierig wird ein Strukturwandel, der niemanden ins Bodenlose fallen lässt. Doch er lässt sich organisieren, auch dank der ohnehin anstehenden Ruhestands-Welle. Der erste Schritt ist, die Realität anzuerkennen: Primärstahl aus Deutschland hat keine Zukunft.

Pro: Stahl ist kein Zukunftsthema, aber notwendig

Mein Kollege meint, dass Stahl in Deutschland keine Zukunft hat und wir stattdessen auf „Zukunftsbranchen“ setzen müssten - Robotik, KI, Quantencomputing.

Sein zentrales Argument: Energie ist in Deutschland zu teuer und nachdem das billige Russland-Gas plus die Atomkraftwerke weg seien, werde es mit der Energiepreis-Wettbewerbsfähigkeit noch schlimmer.

Das leuchtet ein, meint der Pioneer-Ressortleiter Debatte Nils Heisterhagen: Ich sehe es fast genau so, Stahl ist definitiv kein Gewinner-Thema mehr. Und eigentlich ist es ein Zeichen der intellektuellen Leere, dass eine Regierungspartei wie die SPD in diesem Herbst zwei Wirtschaftspapiere beschlossen hat, wovon sich das erste komplett um das Thema Stahl dreht und das zweite überwiegend. Um Robotik, KI, Quantencomputing machen sie sich offenbar wenig Gedanken – das ist falsch.

Nils Heisterhagen © Anne Hufnagl

Gemessen an der Bedeutung für unsere Zukunft ist Stahl in der Tat nachrangig. Deutschlands größter Stahlkonzern ThyssenKrupp kommt auf Platz 42 der größten Stahlunternehmen der Welt. Ganze 25 chinesische Stahlunternehmen kommen vor ThyssenKrupp.

Allein der größte Stahlkonzern der Welt, die China Baowu Group, produziert 13-mal so viel Stahl im Jahr wie der Duisburger Konzern. Gegen die weltweiten Überkapazitäten von 700 Millionen Tonnen sieht die deutsche Jahresproduktion von etwa 40 Millionen Tonnen blass aus.

Das heißt: Selbst wenn morgen alle deutschen Stahlhütten schließen würden, es gäbe noch genug Stahl auf der Welt.

Aber die entscheidende Frage lautet: Welchen Preis zahlt in dem Fall die Industrie und welchen politischen Preis zahlt das Land?

Beim Stahl hätte China das gleiche Erpressungspotenzial wie bei seltenen Erden, wo sie es jetzt schon nutzen. Die Oligopolisierung der Industrie würde zu höheren Preisen führen, erst recht wenn Staatsunternehmen die Preise setzen und der Staat mit Exportkontrollen noch nachsteuern kann.

Ja, man kann natürlich auf die Marktwirtschaft hoffen. Aber dieses Jahr mit all seinen Handels- und Zollstreits sowie Rohstoffkriegen sollte uns gelehrt haben: Sich auf sie zu verlassen, ist naiv.

Denn die Geopolitik schlägt die marktwirtschaftliche Vernunft. Ob man es will oder nicht.

40 Millionen Tonnen sind nicht viel. Aber sie sind eine Resilienz-Menge. Ohne sie wäre Deutschland erpressbar.

Vor allem: Ohne Stahl keine Panzer und damit keine Aufrüstung. Kommt es zum Äußersten, zum Krieg mit Russland, dann braucht Deutschland eigenen Stahl. Oder wollen Sie einen deutschen Kanzler sehen, der in Peking um Stahl betteln muss, während die Chinesen sogar womöglich noch Taiwan angreifen?

Wir sollten uns also nicht bei einem weiteren Basisprodukt abhängig von China machen, nur weil das im Moment billiger ist. Wenn etwas erstmal weg ist, ist es sogar noch kostenintensiver, wieder einzusteigen – das Beispiel seltene Erden zeigt das.

Davon abgesehen stehen auch 70.000 Jobs im Feuer, sollte die deutsche Stahlbranche aufgegeben werden. In Gegenden wie Duisburg den größten Arbeitgeber über die Wupper gehen zu lassen, ist regionaler Selbstmord, der eine katastrophale Finanzlage und ja, auch ein erschütterndes Stadtbild hinterlassen würde.

Eine Studie der Hans-Böckler–Stiftung kommt gerade zu dem Ergebnis, dass Deutschland ohne die Stahlproduktion jährliche Wertschöpfungsverluste von bis zu 50 Milliarden Euro drohen – rund 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts –, sollte es einen globalen Stahlschock geben. Also genau das Szenario eintreten würde, in dem uns die besagten chinesischen Stahlunternehmen den Hahn zudrehen, weil Peking es so will.

Die Frage ist: Wollen wir die geopolitische Wette eingehen und darauf hoffen, dass wir heimischen Stahl wirklich jederzeit mit Stahl aus dem Ausland substituieren können - selbst dann wenn geopolitisch Eiszeit oder sogar Krieg herrscht?

Was ich mir allerdings genau so wünsche wie mein Kollege Jonathan Packroff, ist, dass wir endlich über die Zukunftstechnologien reden.

Fazit: Wir brauchen den Stahl. Aber er sollte nicht ständig unsere Wirtschaftsdebatten prägen.

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Veröffentlicht von Jonathan PackroffNils Heisterhagen.

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