Gegen die Linie der Parteiführung: In einem „Manifest“, das The Pioneer vorliegt, fordern einige prominente SPD-Politiker eine außenpolitische Kehrtwende und Gespräche mit Russland. Die SPD-Friedenskreise mit Vertretern wie Ralf Stegner, Rolf Mützenich und Norbert Walter-Borjans fordern in einem Grundsatzpapier ein Ende der „militärischen Alarmrhetorik“ und der „riesigen Aufrüstungsprogramme“.
Zum Download: SPD-Manifest zur Friedenssicherung
Die zentralen Punkte:
1. Deeskalation
Primär fordern die SPD-Politiker eine Beendigung des Krieges in der Ukraine. Es müsse „nach dem Schweigen der Waffen“ der „außerordentlich schwierige Versuch unternommen werden, wieder mit Russland ins Gespräch zu kommen.“
Deutschland und die EU dürften sich darüber hinaus nicht an einer militärischen Eskalation in Südostasien beteiligen.
Überall gelte: „Die Begrenzung weiterer Eskalation.“
Rolf Mützenich war bis Februar 2025 Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion © imago2. Abrüstung – insbesondere nuklear
Außerdem wird auf einen „New-Start-Vertrag zur Verringerung strategischer Waffen“ gepocht. In der Ausarbeitung müsse verhandelt werden über:
Rüstungsbegrenzung
Rüstungskontrolle
vertrauensbildende Maßnahmen
Diplomatie und Abrüstung
Dazu gehöre auch: „Keine Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland.“
Weltweit müsse die „Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung“ erneuert werden – inklusive verbindlicher Fortschrittsberichte und einer im Völkerrecht verankerten „No-First-Use“-Erklärung.
3. Kein Fünf-Prozent-Ziel
Für die „Erhöhung des Verteidigungshaushalts auf 3,5 oder fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts“ gebe es keine sicherheitspolitische Begründung, heißt es in dem Papier. Statt am „Prinzip der Aufrüstung und Kriegsvorbereitung“ müsse sich die europäische Sicherheitspolitik an einer gemeinsamen Verteidigungsfähigkeit orientieren.
Im Wortlaut:
Statt immer mehr Geld für Rüstung brauchen wir dringend mehr finanzielle Mittel für Investitionen in Armutsbekämpfung, für Klimaschutz und gegen die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen.
Die Reaktionen:
Seit der Veröffentlichung des Papiers, hagelt es Kritik, vor allem auf der Plattform X. Die Kritik kommt sowohl aus den Reihen des Koalitionspartners als auch aus der SPD und anderen Parteien.
CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter schrieb: „Ungeheuerlich. Damit will man die der Vernichtungsabsicht Russlands ausliefern & uns mit!“. Und FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann setzt Kanzler Friedrich Merz sogar mit dem Verweis auf die „Vertrauensfrage“ unter Druck. Sie schrieb auf X:
Marie-Agnes Strack-Zimmermann im Interview auf der Pioneer Two © Anne HufnaglDas Schweigen von Lars Klingbeil und Matthias Miersch zum „Manifest“ ist ohrenbetäubend dröhnend. Die SPD-Spitze muss sich sofort erklären, ob sie hinter der Außenpolitik der neuen Bundesregierung steht. Tut sie dies nicht, sollte der Bundeskanzler bereits jetzt über die Vertrauensfrage im Bundestag nachdenken
Auch aus den eigenen Reihen ist die Kritik groß. Die Ex-Außen- und Verteidigungspolitiker Michael Roth und Fritz Felgentreu äußerten ebenfalls auf X scharfe Kritik. Der ebenso ehemalige SPD-Verteidigungspolitiker Joe Weingarten sagt gegenüber The Pioneer zum Manifest:
Kritisiert das Manifest seiner Parteikollegen: Joe Weingarten © imagoDas ist eine naive Minderheitenmeinung in der SPD und der Gesellschaft. Jetzt kommt es darauf an, dass wir über politische Lager hinweg dem russischen Diktator nicht auf den Leim gehen, sondern entschlossen für unsere Sicherheit und Verteidigung eintreten
Diese scharfe Kritik sorgt für Unruhe in der SPD-Parteispitze. Aus Kreisen der Parteizentrale heißt es: Die SPD sei in dieser Sache inhaltlich breit aufgestellt. Und das sei auch gut, man sei eine Volkspartei. Das Manifest sei also ein Beitrag zur Debatte. Was aber nicht zur Debatte stünde, ist, dass Russland der Aggressor sei.
Allerdings bekommt diese friedenspolitische Linie der Autoren und Unterzeichner auch von prominenten Sozialdemokraten Unterstützung. Erst gerade sagte der Ex-Bürgermeister von Hamburg, Klaus von Dohnanyi, im Interview mit The Pioneer: „Man hat das Erbe Willy Brandts zugeschüttet.“ Heißt: Die Friedenspolitik zu weit zurückgesteckt.
Und er ergänzte:
Haben Sie den Kollegen Boris Pistorius jemals darüber sprechen gehört, dass auch Diplomatie ein Sicherheitsfaktor ist? Sie hören ihn nur, wenn es um Kanonen, Panzer oder Ausgaben für die Rüstung oder die Bundeswehr geht. Und das ist ein Irrtum
Mitunterzeichnerin des Manifests Nina Scheer zu The Pioneer:
Es ist notwendig, den Blick auf die akuten Sicherheitsbedrohung zu schärfen, die verstärkt im Verlust von Lebensgrundlagen, der Abhängigkeit von fossilen Ressourcen, im Klimawandel und in Vertreibung liegen, aber auch in Angriffen auf demokratische Strukturen
Und ergänzt:
Zur Vermeidung weiterer Eskalation brauchen wir eine Intensivierung diplomatischer Anstrengungen der europäischen Staaten, auch für Abrüstungsinitiativen sowie defensive Verteidigungsfähigkeit mit entsprechend notwendiger Ausstattung unserer Bundeswehr und auch Stärkung der sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit Europas.