Politiker: Der große Vertrauensschwund

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Guten Morgen,

die Frage ist schnell gestellt: Wozu Politik? Die einfache Antwort lautet, damit Probleme gelöst werden, die der Einzelne nicht lösen kann.

Wozu Politik? Kompliziert wird die Antwort erst dann, wenn die hauptamtlichen Problemlöser, also die Politiker, selbst zu Problemverursachern geworden sind. Der Volksvertreter, der vor allem sich selbst vertritt, lässt das System dysfunktional erscheinen. Erst stellt sich die Sinn- und später dann die Vertrauensfrage.

Laut der jüngsten Forsa-Umfrage rangiert bereits auf Platz drei der dringendsten Probleme: der Politiker selbst (siehe Grafik). Zunächst sorgt den Bürger das Klima und die Einwanderung, aber gleich darauf bekümmert ihn der Zustand der politischen Klasse.

Eine Infografik mit dem Titel: Das geteilte Land

Forsa-Umfrage: Diese Probleme bewegen die Bürger im Sommer 2019

► Jeder vierte Wahlberechtigte empfindet die Politiker, ihre großspurigen Rituale, das Phrasenhafte ihres Auftretens und die Fragwürdigkeit ihrer Leistungen als das „drängendste Problem der Gegenwart“. ► Für „Armut und das soziale Gefälle“ interessieren sich ausweislich der Befragung von repräsentativ ausgewählten 5393 Bürgern nicht einmal halb so viele. ► Eine Umfrage der EU-Kommission bestätigt den Befund von Forsa: Demnach haben nahezu zwei Drittel der Deutschen kein Vertrauen in ihre Politiker:

Eine Infografik mit dem Titel: Politik: Deutsche haben wenig Vertrauen

Bundesweite Umfrage der EU-Kommission*: Wie sehr vertrauen Sie den politischen Parteien

Womit wir schnurgerade bei CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und SPD-Finanzminister Olaf Scholz gelandet wären. Die Karriere beider Spitzenpolitiker fußt auf einem kühl kalkulierten Wortbruch, begangen auf offener Bühne.

Wer keine Tomaten auf den Augen hat, der kann sehen: Ihre Ambitionen sind größer als ihre Wahrheitsliebe. Sie haben das Volk, um dessen Führung sie sich bewerben, leichten Herzens hinter die Fichte geführt. „Wahrhaftigkeit und Politik wohnen selten unter einem Dach“, wusste schon der Schriftsteller Stefan Zweig. Noch Anfang Juli erklärte die ehemalige Landesmutter des Saarlandes:

Ich habe mich bewusst entschieden, aus einem Staatsamt in ein Parteiamt zu wechseln. Es gibt in der CDU viel zu tun.

Aber offenbar nicht genug für eine wie Kramp-Karrenbauer. Kaum saß sie im Konrad-Adenauer-Haus, griff sie nach dem Chefposten im Verteidigungsministerium. Jetzt ist die 57-Jährige doppelt belastet und doppelt abgesichert – den Absprung ins Bundeskanzleramt fest im Visier.

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Scholz ist ebenfalls wortbrüchig geworden. Noch im Juni hatte der Vizekanzler eine Bewerbung als SPD-Vorsitzender strikt ausgeschlossen:

Nein, ich halte das mit dem Amt eines Bundesministers der Finanzen nicht für zeitlich zu schaffen.

Und weiter:

Man kann ja ein Politikdarsteller sein und sagen: Ich mach’ das eine Amt und das andere Amt. Und in Wahrheit macht man gar nichts. Oder man ist so ernsthaft, dass man die Aufgaben, die man hat, auch richtig erfüllen will. Und das geht beides nicht zusammen. Es wäre nicht richtig, wenn jetzt einer versucht, alle möglichen Ämter an sich zu binden. Das geht schief.

Am Wochenende bei „Anne Will“ gingen dann das eine Amt und das andere Amt doch auf einmal zusammen, ganz ernsthaft:

Ich hab’ ja niemandem versprochen, nicht zu kandidieren. Und ich hoffe, das hat niemand von mir verlangt. Ich habe meine Meinung unterdessen geändert.

Fazit: Das Volk muss seine Meinung angesichts dieser Vorfälle jedenfalls nicht ändern. Oder, um es mit Kurt Tucholsky zu sagen: „Das Volk versteht das meiste falsch, aber es fühlt das meiste richtig.“

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Gestern stellte der kommissarische SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel die Eckpunkte für eine Vermögenssteuer vor. Damit bewirbt sich die SPD als Oppositionspartei. Sie will einmal mehr die „Multimillionäre“ rasieren. Eine zusätzliche Belastung von bis zu 1,5 Prozent auf Grundbesitz, Immobilien, Unternehmensanteile und Barvermögen soll dem Fiskus jährlich bis zu 10 Milliarden Euro einspielen.

Robin Hood © imago

Von den Starken nehmen und den Schwachen geben – das klingt nach Robin Hood und damit heldenhaft. Doch die Teilung der Welt in oben und unten, wie sie im Sherwood Forest existierte, entspricht nicht dem heutigen Sozial- und Bildungsstaat. Die SPD sollte ihre Wähler zum Aufstieg ertüchtigen und nicht im Abstieg narkotisieren. Das Aufwiegeln der Besserverdiener, die mit ihren Steuern und Abgaben fast 40 Prozent der Steuerlast tragen, schafft keine Chancengleichheit. Im Abkassieren hat es die SPD zu einer Meisterschaft gebracht. Aber was fehlt, ist eine intelligente Politik des Motivierens, des Integrierens, des Ermöglichens von Bildung und Aufstieg für alle. Hier liegt das Versagen der Sozialdemokratie.

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Während das chinesische Regime auf den Straßen Hongkongs mit Wasserwerfern und Tränengas den Freiheitsdrang bekämpft, bleibt die Wirtschaft gegenüber der kommunistischen Führung Pekings gefügig. Es geht ihr weniger um die Verteidigung freiheitlicher Werte als um die Sicherheit geschäftlicher Interessen. Wer aufmuckt, fliegt: ► Der Chef der Fluggesellschaft Cathay Pacific, die zu 30 Prozent Air China gehört, musste zurücktreten. Mitarbeiter der Airline hatten sich an den Protesten beteiligt, die Unternehmensleitung schaute zu. ► Der 460 Milliarden US-Dollar schwere Technologiekonzern Alibaba hat ein Zweitlisting an der Börse von Hongkong, wo er 15 Milliarden Dollar einsammeln will, auf unbestimmte Zeit verschoben. Ausgerechnet jetzt den Finanzplatz Hongkong zu stärken, sende womöglich ein falsches Signal nach Peking, so die Befürchtung. ► Laut „Wall Street Journal“ solidarisierten sich von Hongkongs Tycoons bis hin zu globalen Finanzunternehmen die Einflussreichen via Zeitungsanzeigen mit der Regierung. Auch britische Banken wie HSBC und Standard Chartered forderten in den Medien ein Ende der Unruhen.

Eine Infografik mit dem Titel: Hongkong: Proteste belasten Wirtschaft

Kursverlauf des Hang Seng Composite Index, indexiert in Prozent

Doch die Unsicherheit lässt sich so nicht beseitigen. Der Hang-Seng -Leitindex, der die Aktienkurse der 50 größten und meistgehandelten Unternehmen an der Hongkonger Aktienbörse abbildet, hat seit Anfang Juli zehn Prozent verloren (siehe Grafik). Das entspricht 300 Milliarden US-Dollar.

Am Freitag hatte der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger im Morning Briefing Podcast bei meinem Kollegen Robin Alexander dafür geworben, dass sich Deutschland nicht aus den militärischen Auslandseinsätzen zurückziehen sollte.

Als bester Trittbrettfahrer der Allianz, das ist kein schöner Ruf, den sich Deutschland da erworben hat.

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Deutschland dürfe sich nicht zu einer „Art Schweiz“ zurückentwickeln, sagte er: „Das kann und darf nicht sein.“ Ischinger erhält jetzt Widerspruch von Peter Gauweiler. Der Wirtschaftsanwalt, Publizist und frühere CSU-Vize sagt in seiner Gegenrede im Morning Briefing Podcast:

Ich habe, glaube ich, nicht richtig gehört. Ich schätze Herrn Ischinger wirklich sehr. Aber sich zu einer Schweiz zurückzuentwickeln, da wird zurück und nach vorne verwechselt.

Alle europäischen Länder könnten froh und glücklich sein, wenn sie wären wie die Schweiz.

Der Publizist Sebastian Haffner hat vor Jahren schon empfohlen: Unser Ziel müsse es sein, die Schweiz der Welt zu werden, uns die Perfektion der Confoederatio Helvetica anzueignen und von diesem Freund-Feind-Kontinental-Chauvinuismus Abstand zu nehmen. Die Schweiz ist ein ideales Vorbild für uns und kein Zurück.

Fazit: Die Debatte um die Ausrichtung der deutschen Außenpolitik ist eröffnet. Würde das geistige Fernduell Ischinger versus Gauweiler innerhalb der Bundesregierung stattfinden, hätte die Vokabel von der Koalition, die man gemeinhin eine große nennt, endlich ihren Sinn.

Der Journalismus ist heute unter Feuer. Lügenpresse, oder höflicher ausgedrückt Mainstream-Medien: Sie kennen die Stichworte der hitzig geführten Debatte. Heute spreche ich darüber im Morning Briefing Podcast mit Niddal Salah-Eldin, der stellvertretenden Chefredakteurin der Deutschen Presseagentur. Ihre Kernaussage:

Fakten und nicht gefühlte Wahrheiten sind das Fundament unserer Gesellschaft.

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Ferdinand Piëch ist tot. Der langjährige Chef und Mitinhaber von VW und Porsche ist am Sonntagabend im Alter von 82 Jahren gestorben. Piëch war über die Autobranche hinaus berühmt wie berüchtigt. „Mein Harmoniebedürfnis ist begrenzt", schrieb er selbst in seiner Autobiografie. Piëch war skrupellos, was in seinem Fall keine Übertreibung ist. Es begann mit der Industriespionage des von ihm geholten Managers José Ignacio López de Arriortúa. Es endete mit einem schmutzigen Machtkampf gegen den eigenen Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn, womit sich Piëch erst aus dem Aufsichtsrat und dann aus dem Eigentümerkreis von VW katapultierte.

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Piëch war der Absolutist unter Deutschlands Firmenchefs. Er wollte nicht geachtet, er wollte gefürchtet werden. Falls Sie in den Zeitungen heute irgendwo das Wort vom „Genie“ lesen, misstrauen Sie ihm. Piëch war der Mann einer anderen Zeit. Er war besserwisserisch, herrschsüchtig – und den Rechtsstaat begriff er keineswegs als Limitierung. Seine Rolle in der Diesel-Affäre wartet noch auf Aufklärung. Ja, man wird sich an Piëch erinnern. Aber nein, man wird ihn in der Wirtschaft nicht vermissen. Ich wünsche Ihnen einen tatkräftigen Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
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